Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Tristan Brusch mit Schlafzimmerblick
Foto: Ashley Armitage/Warnermusic

Verschrobener Pop

27. September 2018

Ins Paradies mit Tristan Brusch – Popkultur in NRW 10/18

Deutsche Popsongs zu schreiben, die einem nicht schon nach dem vierten Hören auf den Geist gehen, ist eine Kunst. Tristan Brusch ist ein Künstler. In seinen süßesten Momenten klingt er wie ein Zuckerwatteverkäufer, in den kaputtesten wie ein Kinski. Dabei ist der 1988 in Gelsenkirchen geborene Sänger und Komponist vor allem ein begnadeter Beobachter. Aus kleinen  Alltagsszenen zerrt er große Gedanken hervor. Brusch hält uns ein buntes Spiegelbild vor, steht dabei aber zugleich knöcheltief in der Selbsthinterfragung. Eigensinn ist Trumpf, wenn man in Tübingen als Sohn eines professionellen Violinisten und einer klavierspielenden Mutter in einem Haushalt voller klassischer Musik aufwächst und trotzdem federleichten Pop machen will. Mit Refrains wie „Oh mon Amour, wenn Du Dich traust, verschütt ich mich Dir, avec plaisir“ (Zuckerwatte) rettet sich Brusch ins Chanson, das Karussell beginnt sich zu drehen und es verwirbelt einem tüchtig den Kopf.

Seltsam gut funktioniert auch glitzernd-sportlich-veganer Discopop als funky Abgesang auf Geschlechterklischees und die letzten Ölreserven leerfahrende BMWs (Die fetten Jahre). Die paranoid-aggressive Selbstbehauptung im theatralen Sprechgestus wird mit einem Seitenhieb auf bierdeutsche Rudelseligkeit garniert (Trümmer). Indiepoppig schleicht sich der giftige Tod im New Wave-Outfit durch die Geisterbahn in den Gehörgang (Hier kommt euer letzter Freund), Und wenn Brusch mal nicht austeilt, sondern erzählt wie er einsteckt, wird es zwischen sanftem Bass und Zirpsynthesizer plötzlich ganz still (Tier). Selbst ein übel aufstoßender Trashsound samt Retro-Gitarrenriff und Schlageranleihen klingt bei ihm überzeugend, wenn ein Luftballon ihn in Identitätskrisen stürzt (Ich lass dich nie los). Egal was dieser Musiker macht und welchen Stil er gerade verarbeitet, die Melodien sind immer deliziös und jeder Refrain absolut ohrwurmtauglich, auch wenn man beim Mitsingen öfter mal denkt, man werde gerade irgendwie aus Glatteis geführt.

Inzwischen ist Brusch Wahlberliner und hat in den letzten Jahren unter anderem mit den Orsons zusammengearbeitet und getourt, so auch bei Cros MTV Unplugged mitgewirkt, für den Rapper Maeckes ein ganzes Album komponiert, bei Mine und Fatoni im Vorprogramm gespielt, Alligatoah supportet und sich Charlotte Brandi von Me and my drummer für den Song Dispoqueen aufs Album geholt. Nach einigen frühen englischsprachigen Veröffentlichungen und einer EP mit einem frappanten Hildegard Knef-Cover ist seit Juni endlich das deutschsprachige Debütalbum „Das Paradies“ da. Jetzt ist Brusch bei Warnermusic gesigned: die Tür zum Erfolg steht weit offen. Dieser Mann möchte uns lehren, die eigene Weirdheit zu lieben. Einen Platz in unseren Herzen hat er redlich verdient.

Tristan Brusch | Support: Bayuk | Do 18.10. 20 Uhr | Veedel Club Köln | www.facebook.com/Veedelclub | Mo 22.10. 20 Uhr | FZW Club Dortmund | www.fzw.de

Melanie Redlberger

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Musik aus dem Zauberwald
Marta Del Grandi in Dortmund – Musik 01/24

Kameraden und Familie
Chuck Ragan & The Camaraderie in Dortmund – Musik 12/23

All die Frauen und Prince
Zwei Musikbücher widmen sich Sex, Körper und Gender im Rock ‚n‘ Roll – Popkultur 06/20

„Ich wollte immer nur Liebeslieder schreiben“
Konstantin Wecker kommt nach Dortmund und Essen – Interview 08/19

Georg Dybowski
Nahaufnahme 06/19

„Pop ist die Akademie des Alltags“
Medienprofessor Marcus S. Kleiner über Pop- und Bildungskultur – Interview 04/19

„Ein Gedanke pro Song“
Guido Scholz von Kapelle Petra über Song-Rezepte und eigene Wege – Interview 03/19

„Aus akutem Kummer kann kein guter Song entstehen“
Der Bochumer Musiker und Schauspieler Dominik Buch über aufrichtige Kunst – Interview 02/19

Historische Elektrotechnik
Reissues entdecken Elektronik der 70er und frühen 80er Jahre neu – Kompakt Disk 01/19

„Introvertiertheit ist keine Allüre“
Kevin Werdelmann über das neue Slowtide-Album – Interview 01/19

Engagiertes Stelldichein
Die Verleihung 1Live Krone in der Jahrhunderthalle Bochum – Musik 12/18

„Die Leute auf ihr Unglück aufmerksam machen“
Die Kölner Punkrock-Band Detlef über Mitmenschen und eine einzigartige Stimmfarbe – Interview 12/18

Musik.

Hier erscheint die Aufforderung!