Deutsche Popsongs zu schreiben, die einem nicht schon nach dem vierten Hören auf den Geist gehen, ist eine Kunst. Tristan Brusch ist ein Künstler. In seinen süßesten Momenten klingt er wie ein Zuckerwatteverkäufer, in den kaputtesten wie ein Kinski. Dabei ist der 1988 in Gelsenkirchen geborene Sänger und Komponist vor allem ein begnadeter Beobachter. Aus kleinen Alltagsszenen zerrt er große Gedanken hervor. Brusch hält uns ein buntes Spiegelbild vor, steht dabei aber zugleich knöcheltief in der Selbsthinterfragung. Eigensinn ist Trumpf, wenn man in Tübingen als Sohn eines professionellen Violinisten und einer klavierspielenden Mutter in einem Haushalt voller klassischer Musik aufwächst und trotzdem federleichten Pop machen will. Mit Refrains wie „Oh mon Amour, wenn Du Dich traust, verschütt ich mich Dir, avec plaisir“ (Zuckerwatte) rettet sich Brusch ins Chanson, das Karussell beginnt sich zu drehen und es verwirbelt einem tüchtig den Kopf.
Seltsam gut funktioniert auch glitzernd-sportlich-veganer Discopop als funky Abgesang auf Geschlechterklischees und die letzten Ölreserven leerfahrende BMWs (Die fetten Jahre). Die paranoid-aggressive Selbstbehauptung im theatralen Sprechgestus wird mit einem Seitenhieb auf bierdeutsche Rudelseligkeit garniert (Trümmer). Indiepoppig schleicht sich der giftige Tod im New Wave-Outfit durch die Geisterbahn in den Gehörgang (Hier kommt euer letzter Freund), Und wenn Brusch mal nicht austeilt, sondern erzählt wie er einsteckt, wird es zwischen sanftem Bass und Zirpsynthesizer plötzlich ganz still (Tier). Selbst ein übel aufstoßender Trashsound samt Retro-Gitarrenriff und Schlageranleihen klingt bei ihm überzeugend, wenn ein Luftballon ihn in Identitätskrisen stürzt (Ich lass dich nie los). Egal was dieser Musiker macht und welchen Stil er gerade verarbeitet, die Melodien sind immer deliziös und jeder Refrain absolut ohrwurmtauglich, auch wenn man beim Mitsingen öfter mal denkt, man werde gerade irgendwie aus Glatteis geführt.
Inzwischen ist Brusch Wahlberliner und hat in den letzten Jahren unter anderem mit den Orsons zusammengearbeitet und getourt, so auch bei Cros MTV Unplugged mitgewirkt, für den Rapper Maeckes ein ganzes Album komponiert, bei Mine und Fatoni im Vorprogramm gespielt, Alligatoah supportet und sich Charlotte Brandi von Me and my drummer für den Song Dispoqueen aufs Album geholt. Nach einigen frühen englischsprachigen Veröffentlichungen und einer EP mit einem frappanten Hildegard Knef-Cover ist seit Juni endlich das deutschsprachige Debütalbum „Das Paradies“ da. Jetzt ist Brusch bei Warnermusic gesigned: die Tür zum Erfolg steht weit offen. Dieser Mann möchte uns lehren, die eigene Weirdheit zu lieben. Einen Platz in unseren Herzen hat er redlich verdient.
Tristan Brusch | Support: Bayuk | Do 18.10. 20 Uhr | Veedel Club Köln | www.facebook.com/Veedelclub | Mo 22.10. 20 Uhr | FZW Club Dortmund | www.fzw.de
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