Singer-/Songwriter/Punk – so richtig wissen die Veranstalter nie, wie sie Konzerte von Chuck Ragan ankündigen sollen. Schließlich ist der Amerikaner mit der Reibeisenstimme in mehreren Genres zuhause und vereint handgemachte akustische Musik mit rauer Energie und ebensolchen Vocals. Der Sänger und Gitarrist der Post-Hardcore-Band Hot Water Music wandelt seit 2007 regelmäßig auf Solopfaden durch von Folk und Bluegrass geprägte Gefilde. Unter dem Namen „Revival Tour“ brachte er einige Musiker aus der Punkrock-Szene zusammen, die im akustischen Gewand unter Beweis stellten, dass ihre Kompositionen einen Platz im Great American Songbook verdient haben. Seine eigenen Songs bringt er entweder solo auf die Bühne (oder wie letztes Jahr mit John Gaunt an der Fiddle) – alternativ mit einer Begleitband, seiner „Camraderie“, die aus wechselnden Musikern besteht.
Als Support hat sich Ragan bei seiner aktuellen Tour Cory Brannan ins Dortmunder FZW geholt. Der Musiker aus Memphis erweist sich als Geschichtenerzähler mit Witz. Songs wie „The prettiest waitress in Memphis“ zeugen von einem recht bodenständigen Humor, wogegen seine Songstrukturen umso vertrackter daherkommen. Unvermittelte Tempiwechsel, filigranes Fingerpicking, akustische und elektrische Parts, bluesige Slides und verzerrte Rockriffs lassen zwar keine Langeweile aufkommen, machen es aber all jenen Zuhörern schwer, die seine Songs nicht kennen. Kaum wippt der Fuß im Takt, schon scheint der Song wieder in eine andere Richtung zu driften.
In Dortmund angekommen
Direkter geht es dann bei Chuck Ragan and the Camaraderie zur Sache. Mit „Nomad by Fate“ liefern Ragan und seine Jungs einen treibenden Opener, der sofort mitreißt, aber auch von den ersten Takten an ein Instrument schmerzlich vermissen lässt: Die „Camaraderie“ kommt bei der aktuellen Tour ohne Fiddle aus, und diese prägt den Song (und manch weiteren der Setlist des Abends) normalerweise sehr. Glücklicherweise sind mit Spencer Duncan am Bass, Jahred Shavelson am Schlagzeug und Todd Beene an der Pedal Steel Guitar Musiker am Werk, die es vermögen, auf ihre Weise den Song originell zu interpretieren und den fehlenden Geigenklang nahezu vergessen zu machen.
Wenn das Stück in die wiederholten Zeilen „I’m coming home“ mündet und man das begeistert einstimmende Publikum in den vorderen Reihen beobachtet, dann merkt man, dass Chuck Ragan schon mit dem ersten Song in Dortmund angekommen ist. Teile des Publikums bleiben eher verhalten, es gibt sogar Grüppchen, die sich durch das Geschehen auf der Bühne nicht vom Plaudern abbringen lassen. Da gab es schon aufmerksameres und feierwütigeres Publikum bei Chuck Ragan als an diesem Abend. Die Musiker scheinen das aber gar nicht so zu empfinden. Sie liefern intensiv und gut gelaunt ab. Als für eine Handvoll Songs der Support-Act Cory Brannan zur Band stößt trägt er die Stücke mit elektrischer Gitarre in gänzlich andere Gefilde als in ihrer Originalversion. Auch die aktuelle neue Single „Echo the Halls“ macht sich live sehr gut.
Intensiv und gut gelaunt
Im krassen Gegensatz zu den elektrifizierten rockigen Stücken folgen dann drei Songs, die Ragan solo akustisch mit Gitarre und Mundharmonika darbringt. Nicht zuletzt dank seiner Stimme sind sie von überragender Präsenz. Ragan dankt dem Publikum für die Treue, betont, wie wichtig der Zusammenhalt der Hot Water Music-Familie für ihn und die anderen Musiker ist – bevor dann das Zugabenset von „The Boat“, „Calivornia Burritos“ und natürlich „Meet you in the middle“ die Halle endlich so zum Kochen bringt, wie es bei Hot Water Music möglicherweise von Beginn an gewesen wäre. Davon kann man sich übrigens im nächsten Winter überzeugen, wenn die Band im Rahmen ihrer „30 years anniversary“-Tour nach Münster im Skaters Palace kommt. Der Vorverkauf läuft bereits.
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