Vom strahlendblauen wolkenlosen Himmel scheint die Sonne, das Thermometer zeigt gut 20 Grad. Im T-Shirt sitzt ein älterer Herr Anfang März vor der italienischen Eisdiele und schaufelt einen riesigen Fruchtbecher in sich hinein. „Herrlich, diese Erderwärmung“, feixt er. Auch die Passanten wirken alle gut gelaunt. So einfach aber ist es nicht mit dem Klimawandel, gibt seine Begleiterin zu bedenken. Im vergangenen Jahr lag noch Anfang April Schnee. Man könne sich auf das Wetter eben überhaupt nicht mehr verlassen. Recht hat sie. Wer den Klimawandel auf einen einfachen Temperaturanstieg reduziert, verkennt, wie vielgestaltig die Auswirkungen des Karbonzeitalters auf unseren Planeten sind. Manche Klimamodelle gehen sogar davon aus, dass es in Mitteleuropa kühler wird, weil die schmelzenden Eismassen des Nordpols den Golfstrom nach Süden driften lässt. Aber es gibt noch andere Unbekannte bei der Klimaprognose für die nächsten Jahrzehnte. Was geschieht, wenn durch die Erwärmung der Permafrostgebiete in Sibirien, Kanada und Alaska große Mengen von Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen? Welche Auswirkungen haben Rußpartikel, die sich vermehrt auf polarem Schnee absetzen und diesen noch schneller schmelzen lassen? Oder wird durch die Erderwärmung mehr Wasser verdunstet und es kommt zu Regen in trockenen Regionen, zu blühenden Wüsten? Klimaforscher können nur wage Prognosen formulieren. Klar ist nur, dass in den nächsten Jahrzehnten die Klimaextreme zunehmen werden.
Einig sind sich die Politiker der Welt, dass etwas gegen den weiteren Ausstoß von Kohlendioxyd unternommen werden soll. Einig sind sich die Politiker auch, dass andere Länder und auf gar keinen Fall das eigene Land nun in der Bringschuld seien. Die jährlich stattfindende UN-Klimakonferenz beschließt regelmäßig die Vertagung der Problemlösung. Im vergangenen November in Warschau legte die Staatengemeinschaft fest, dass die Erde sich nur noch um weitere zwei Grad Celsius erwärmen dürfe. Basta! Nur, wer soll Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzen? Deutschland galt global und auch europäisch lange Zeit als mutiger Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Die deutsche Blockade von Beschränkungen für die Automobilindustrie in der Europäischen Union schadete diesem Image. Und seit in Berlin die Große Koalition regiert, unterliegt der Klimawandel einem Imagewandel. Propagierte die SPD vor den Wahlen noch die weitere Förderung regenerativer Energien, so war nach Auszählung der Stimmen nicht mehr viel davon übrig geblieben. Die Grünen fielen mit ihrem dürftigen Wahlergebnis als Koalitionspartner aus. Die FDP hingegen, die aus dem Bundestag flog, fiel für die Energiekonzerne als Lobbyvertreterin aus. Noch im Oktober wurde die bei den Koalitionsverhandlungen für Energiepolitik zuständige Sozialdemokratin Hannelore Kraft zu den Stromoligarchen geladen. Was man ihr hinter verschlossener Tür offenbarte, blieb geheim. Danach aber redete sie nur noch davon, dass die Energiewende wirtschaftsverträglich gestaltet werden müsse. Mit wirtschaftsverträglich meinte sie nicht die Förderung der Handwerksbetriebe, die Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien installieren, oder die deutsche Solar- oder Windenergiebranche, die seit Monaten kriselt, sondern die Rettung von RWE, EON, Vattenfall & Co.
Der heimische Energieriese RWE scheint nun tatsächlich Unterstützung von staatlichen Stellen zu benötigen. Anfang des vergangenen Monats musste er eine Jahresbilanz veröffentlichen, die die schlechteste seit 60 Jahren ist. Statt der sonst satten Gewinne und Dividenden verzeichneten die Stromer aus Essen einen Verlust von 2,8 Milliarden Euro. Der Konzern leidet unter dem Preisverfall an den Strommärkten. Zwar wird der Strom für den Verbraucher immer teurer, für den Einkäufer aber wegen des Überangebots immer billiger. Diese paradoxe Entwicklung, die den Grundsätzen der Marktwirtschaft widerspricht, hat einen recht banalen Grund. Großkraftwerke schreiben tiefrote Zahlen oder müssen schlichtweg eingemottet werden, weil sie keiner mehr braucht. Dabei protestiert die Umweltbewegung schon seit Jahren vergeblich gegen den Bau neuer Großkraftwerke. Die Energiekonzerne hätten auf die Bedenkenträger nur hören müssen. Nun müssen sie neuwertige Kraftwerksblöcke abschreiben. Nicht auszudenken, welches Überangebot an Strom wir hätten, wenn nicht nach Fukushima etliche Atomkraftwerke vom Netz gegangen wären.
Die Stromwirtschaft indes verlangt vom Staat nun Bares. Wegen dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien seien die Großkraftwerke nicht mehr rentabel. Um in Zeiten von Windstille und bewölktem Himmel die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, dürften sie aber nicht vom Netz genommen werden. RWE-Chef Peter Terium verwendete auf der Bilanz-Pressekonferenz einen plastischen Vergleich. „Die Feuerwehr wird ja nicht nur dann bezahlt, wenn sie einen Brand löscht.“ Bleibt nur zu ergänzen, dass die Feuerwehr in der Regel keine Aktiengesellschaft ist.
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