Als mich mein Bruder neulich fragte, was ich unter dem Begriff der Inflation verstünde, konnte ich außer dem Stichwort der Geldentwertung kaum etwas zur Diskussion am Esstisch beitragen. Zuvor hatte ich eine Nachricht zum überraschenden Wirtschaftswachstum in Deutschland im letzten Quartal gelesen und stellte nun in den Raum, dass vielleicht doch nicht alles so düster aussähe, wie es etwa allgegenwärtige Unkenrufe zu landesweiten Stromausfällen nahelegten. Mein Bruder wies mich jedoch darauf hin, dass er die verminderte Kaufkraft infolge der Geldentwertung in den letzten Monaten bereits deutlich gespürt habe.
Solche Gespräche sind nicht selten in diesen Tagen. Es geht eine Angst vor Armut um, die merkwürdig wirkt angesichts praller Weihnachtsmärkte oder der wiedererwachten Reiselust. Überhaupt scheint die in den letzten zwei Jahren so sorgsam behütete körperliche Gesundheit in der Güterabwägung nun deutlich niedriger zu rangieren als das finanzielle Wohlgefühl.
Verlustangst im Wohlstand
Die Angst vor Armut in einer der größten Volkswirtschaften muss Verlustangst sein – sie ist auch ein Resultat von Unwissen. Denn die Gesellschaft weiß herzlich wenig darüber, wie das Haus beschaffen ist, in dem sie lebt – einige auf weichen Polstern, stetig mehr jedoch in Ecken, in die nur wenig Wohlstandswärme dringt.
Mangelhaftes Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung hat im vergangenen Jahr die OeBix-Studie nachgewiesen, durchgeführt vom Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg im Auftrag der Flossbach-von-Storch-Stiftung: Nachholbedarf sieht sie in den Schullehrplänen, in der Lehrerbildung.
Vor sieben Jahren erlangte ein Tweet der Schülerin Naina größere Aufmerksamkeit. Sie beklagte, dass sie zwar gelernt habe, Gedichte in vier Sprachen zu analysieren, jedoch von alltäglichen wirtschaftlichen Belangen nichts verstehe. Diese Klage gewinnt in einer Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit an Relevanz – so, wie man gerne mehr wüsste über die Funktionsweise eines Motors, wenn das Auto zu stottern beginnt. Spezialisierung ist zwar eine Konstante moderner Gesellschaften, doch eine grundständige Bildung muss entscheidungsfähige Bürgerinnen und Bürger zum Ziel haben – nicht nur Wirtschaftswissenschaftler leben im Wirtschaftssystem.
Entscheidungsfähige Bürgerinnen und Bürger
Abhilfe wollen sowohl private Initiativen als auch öffentliche Träger schaffen – so zum Beispiel das Bündnis ökonomische Bildung, das Akteure aus Wirtschaft und Politik vereinigt. Nicht zuletzt versammelt Youtube niedrigschwellige und sachkundige Einführungen und Diskussionen von wirtschafts- und finanzpolitischen Grundbegriffen und Entwicklungen – mit deren Hilfe konnte auch ich mein Verständnis des Inflationsbegriffs nun konsolidieren. Allerdings verstecken sich hinter solchen Bildungsangeboten teils auch weniger hehre Ziele. Nicht selten verkaufen private Akteure unter dem Deckmantel der Wissensvermittlung bloß sich selbst und ihre eigenen Produkte.
Dieses Anglertum habe ich selbst erlebt auf einem Seminar über eine Tabellenkalkulations-Software, veranstaltet von einer Organisation, die den Anspruch hat, Leerstellen der universitäten Ausbildung zu schließen. Aber noch bevor der Seminarleiter im Zoom-Meeting die Basisfunktionen von Excel – anhand einer Einnahmen/Ausgabenkalkulation – erklärte, empfahl sich der Wirtschaftswissenschaftler als freiberuflicher Finanzberater an seine Teilnehmenden, und denominierte die Veranstaltung offen als die perfekte Möglichkeit zum Selbstmarketing. Eine ökonomische Strategie par excellence.
ARMUT LEICHT GEMACHT - Aktiv im Thema
ichbinarmutsbetroffen.start.page | Die basisdemokratische und linke Bewegung erwartet von der Politik, die Armutsfrage ernst zu nehmen.
dishwasher-magazin.de | Das „Magazin von und für Arbeiter*innenkinder“ gibt denen eine Stimme, die aufgrund ihres „tatsächlichen, vererbten“ oder „zugeschriebenen sozialen Status benachteiligt, diskriminiert und entwürdigt“ werden.
bodoev.org | Seit fast 30 Jahren klärt der Verein mit seinem in Dortmund und umliegenden Städten verteilten Straßenmagazin in über die Belange armer und obdachloser Menschen auf.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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