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Maurice Höfgen
Foto: Maurice Höfgen

„Um den Armen zu geben, braucht man nicht das Geld der Reichen“

28. Dezember 2022

Ökonom Maurice Höfgen über Staatsfinanzierung und Wohlstand – Teil 2: Interview

trailer: Maurice, als Student hast Du einmal einen offenen Brief an den Dekan geschrieben. Worum ging es?

Maurice Höfgen: Ich war als Student unzufrieden damit, wie die Uni den Studierenden vermittelt, wie Geld entsteht und Banken funktionieren. Da habe ich Lehrbücher, die an der Uni eingesetzt werden, zitiert und dagegen Zitate von den großen Zentralbanken gestellt. Die passten nicht zusammen: Die Zentralbanken in der Praxis sagen etwas anderes als die Unis vermitteln.

Wie lautet deine Kritik am Studium der Volkswirtschaft?

Die Kritik am Studium ist, dass es auf eine bestimmte Denkrichtung festgefahren ist – Neoklassik ist der Überbegriff dafür. Die Grundannahmen neoklassischer Modelle, zum Beispiel, dass Geld knapp ist, oder dass Banken nur Geld verleihen, sind falsch. Wenn die Modelle, nach denen sich auch Politik richtet, falsch sind, ist das ein Problem.

Wenn ich einen Kredit aufnehme, erhalte ich kein Geld, das jemand anders eingezahlt hat?

Nein, das ist neues Geld – auf Knopfdruck erzeugt. Man kann sich das so vorstellen: Wenn man Monopoly spielt, dann bekommt am Anfang des Spiels jeder Spieler ein Startgeld. Wo kommt das her? Aus der Monopoly-Bank. Hat die da vorher jemand eingezahlt? Nein. So entsteht Geld: wenn Banken einen Kredit vergeben oder wenn Staaten Geld ausgeben. Über Steuern wird Geld wieder aus der Wirtschaft gezogen – es kann also geschöpft und vernichtet werden.

Es heißt oft, die Europäische Zentralbank (EZB) betreibe monetäre Staatsfinanzierung. Was bedeutet das?

Ursprünglich ist gemeint, dass die Europäische Zentralbank einem Staat wie Deutschland seine Staatsanleihen direkt abkauft. Das darf sie aber nicht. Nach unseren Regeln darf sie Anleihen erst kaufen, nachdem Christian Lindner sie an private Banken verkauft hat. Die EZB hat das viel gemacht, sie hat in Billionenhöhe europäische Staatsanleihen aufgekauft. Daher gibt es Ökonomen, die das mit monetärer Staatsfinanzierung gleichsetzen. Sie haben recht: Die EZB stellt sicher, dass die europäischen Finanzminister an Geld kommen. Das geht auch nicht anders, weil das Geld, das ein Staat ausgibt, nur von seiner Zentralbank kommen kann.

Führt eine höhere Geldmenge denn nicht zu Inflation?

Das ist heute nur eine kleine Gruppe von Ökonomen, die das noch immer für richtig hält. Mehr Geld heißt nicht automatisch mehr Inflation. Es kann das bedeuten, aber es muss es nicht. Wenn die Wirtschaft boomt, dann können die Preise steigen. Dann ist aber nicht die Geldmenge das Problem, sondern zu viel Nachfrage. Momentan laufen wir beispielsweise auf eine Krise zu, haben aber trotzdem eine hohe Inflationsrate. Wieso? Wir haben einen klassischen Angebotsschock: Energie ist teuer geworden und damit alles, wo Energie drin ist – zum Beispiel Lebensmittel. Deswegen sind energieintensive Produkte teuer, andere weniger. Lässt sich das mit der Geldmenge erklären? Nein.

Die EZB hat den Leitzins erhöht, um die Inflation zu bekämpfen. Eine gute Idee?

Nein. Es ist ein Fehler, die Zentralbank gegen den Angebotsschock in den Ring zu schicken. Dagegen hat sie keine Mittel. In Frankfurt, wo ihr pompöser Büro-Tower steht, gibt es meines Wissens keine Quellen, wo sie Gas oder Öl besorgen könnte. Nur das hilft aber gegen die Knappheit, die Energie teuer macht – vor allem durch den Krieg. Die EZB kann nur die Zinsen anheben. Das sorgt dafür, dass Kredite teuer werden, Firmen nicht investieren, dieWirtschaft schlechter läuft und die Nachfrage sinkt. Und die Preise? Nun, sie hofft, dass mit der Nachfrage auch die Preise sinken. Das hat schmerzhafte Nebenwirkungen und ist nicht erfolgsversprechend. Eigentlich bräuchten wir das Gegenteil: Investitionen, die uns von fossiler Energie wegbringen. Indem man Geld teuer macht, reizt man keine Investitionen an.

Nächstes Jahr geht es zurück zur Schuldenbremse. Wieso?

Wir haben einen Finanzminister, der glaubt, dass ein Staat sparsam sein sollte. Selbst Christian Lindner muss momentan die Schuldenbremse mit mehreren hundert Milliarden über Sondervermögen und Nebenhaushalten umgehen. Macht er das nicht, würde die Wirtschaft abschmieren. Es ist schräg, dass man sich so an die Schuldenbremse klammert, sie aber trotzdem hintergeht. Er ist der Überzeugung, Geld sei knapp, und der Staat habe nur das Geld seiner Steuerzahler. Schulden seien böse, und die Enkel müssten irgendwann dafür bezahlen – was falsch ist.

Staatsschulden sind also kein Problem?

Staatsschulden sind per se kein Problem. Sie werden zum Problem, wenn der Staat zu viel Geld ausgibt und die Wirtschaft überhitzt. Dann würde theoretisch Inflation erzeugen. Davon sind wir aber in der Eurozone meilenweit entfernt. Wir haben jahrelang viel zu wenig in unsere Infrastruktur investiert, zu wenig Lehrer und Pfleger eingestellt, zu schlechte Arbeitsbedingungen gehabt. In Deutschland sind nicht Schulden das Problem, sondern wie wir mit unserer Wirtschaft und Infrastruktur umgegangen sind. Eine Ausnahme gibt es: wenn die Zinsen steigen, muss der Staat unter Umständen woanders kürzen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Aber das liegt an der politischen Regel, die wir uns gegeben haben, und nicht daran, dass wir es uns nicht „leisten“ können.

Du hast mal gesagt, du seist im Team „lift the poor“ statt „tax the rich“. Kannst du das erläutern?

Linke Politiker wollen häufig erst den Reichen etwas nehmen, um den Armen etwas zu geben. Ich finde die Reihenfolge falsch. Man sollte erst den Armen geben, und dafür braucht man nicht das Geld der Reichen, denn der Staat hat sein eigenes Geld. Geld wächst nicht auf reichen Menschen. Zunächst soll jeder über die Runden kommen in diesem reichen Land. Danach geht es darum, Auswüchse großen Reichtums nach oben einzuschränken, denn ökonomische Macht heißt am Ende auch politische Macht. Damit retten wir die Demokratie. Aber das Geld der Reichen braucht ein Staat nicht.


ARMUT LEICHT GEMACHT - Aktiv im Thema

ichbinarmutsbetroffen.start.page | Die basisdemokratische und linke Bewegung erwartet von der Politik, die Armutsfrage ernst zu nehmen.
dishwasher-magazin.de | Das „Magazin von und für Arbeiter*innenkinder“ gibt denen eine Stimme, die aufgrund ihres „tatsächlichen, vererbten“ oder „zugeschriebenen sozialen Status benachteiligt, diskriminiert und entwürdigt“ werden.
bodoev.org | Seit fast 30 Jahren klärt der Verein mit seinem in Dortmund und umliegenden Städten verteilten Straßenmagazin in über die Belange armer und obdachloser Menschen auf.

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Interview: Leo Thomann

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