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Anke Johannsen
Foto: Jacqueline Wardeski

„Hauptsache, Kunst erreicht die Herzen“

14. Oktober 2020

Musikerin Anke Johannsen über Kreativität und Haltung im Ruhrgebiet – Über Tage 10/20

trailer: Frau Johannsen, Sie sind freischaffende Musikerin im Ruhrgebiet. Wie stark traf die Pandemie die Branche?

Anke Johannsen: Mich macht es schon sehr betroffen, welche Ausfälle viele meiner Kolleg:innen zu beklagen haben. Da Live-Auftritte einen eher geringen Anteil meines künstlerischen Wirkens ausmachen, bin ich ganz gut durch diese Zeit gekommen und habe die Ruhe sogar auch für künstlerische Arbeiten nutzen können.

Für einen Quarantäne-Song.

Ja, ich bin zwischendurch als Lehrbeauftragte an einer Hochschule in der Nähe von Bonn. Die Studierenden haben angefragt, ob ich ihnen etwas für ein Projekt schicken könnte, das sich mit dem Lockdown beschäftigt. Dafür habe ich Zuhause ein kleines Quarantäne-Liedchen aufgenommen.

„Eine Haltung zu den Dingen haben“

Im Ruhrgebiet ist es schwer, sich als Musiker:in zu etablieren. Was raten Sie Studierenden bei solchen Kooperationen?

Ich finde es wichtig, eine Haltung zu den Dingen zu haben. Kunst wirkt immer so sehr oder so wenig wie die Idee, die dahintersteckt.

Welche Haltung wäre in einer Stadt wie Duisburg mit starker Armut gefragt?

Meine Haltung ist, immer nach den Potentialen zu gucken. Mir geht es darum, zu gucken, wie Dinge besser werden können. In Klagelieder möchte ich nicht einstimmen, nach dem Motto: Schuld sind immer die anderen. Das ist immer bequem.

„Wo Wirtschaftsbosse Probleme sehen, erblicken Künstler:innen häufig Chancen“

Sie waren in Musikförderung involviert. Wie viele Kinder wurden durch Schulschließungen stark abgehängt?

Ich habe da Bauchweh. Wenn Kinder zu Hause kein Internet oder ein entsprechendes Endgerät haben, dann sind sie abgeschnitten. Während des Lockdowns war das der Fall. Kreativität kann in dieser Situation eine große Rolle spielen. Musik kann dazu beitragen, dass Kinder sich entspannen oder schlimme Eindrücke verarbeiten.

„Die Region als großes Orchester. Statt im Wettbewerb“

Sie leiten Workshops zu Kreativität, ein beliebtes Stichwort für ein postindustrielles Ruhrgebiet.

Kreativität bedeutet für mich anzunehmen, was da ist, und daraus etwas Schönes zu machen. Damit würde auch das Ruhrgebiet gut fahren. Es könnte sich von Künstler:innen helfen lassen, die alten Strukturen aufzubrechen. Wo Wirtschaftsbosse oder Behörden Probleme sehen, erblicken Künstler:innen häufig Chancen.Diese kreative Haltung treffe ich hier imRuhrgebiet vielerorts an. Die Art und Weise, wie ein Symphonieorchester sich einstimmt und zusammen spielt, wäre vielleicht ein Sinnbild, wie die Ruhrgebietsstädte aufeinander zugehen könnten, damit sich die Region wie ein großes Orchester begreift. Wenn ich das ein bisschen pointiert ausdrücken darf, scheint es aktuell ja eher so, als würden die Städte in einer Art Wettbewerb gegeneinander antreten – dabei ist die Idee von DSDS doch längst überholt.

Auch Prestigeprojekte wie das Musikforum in Bochum sind nicht unumstritten?

Wenn eine Stadt an Ansehen gewinnt, wenn sie so ein Filetstück hinstellt, dann gewinnen doch eigentlich alle.Kunst sollte natürlich keine Frage des Intellekts oder des sozialen Status sein. Alle haben da gut zu tun, das zu öffnen. Aber ich bin da etwas entspannter: Hauptsache, Kunst erreicht die Herzen der Menschen. Wenn sie dann mal mehr, mal weniger kostet, dann ist das so.

„Kunst sollte keine Frage des Intellekts oder des sozialen Status sein“

Wie groß sind Not und Notwendigkeit für selbstständige Künstler:innen, schnell zu Konzerten zurückzukehren?

Live-Konzerte sind ähnlich wie die Gastronomie-Öffnungen problematisch. Die Gastronomen waren natürlich scharf darauf, wieder öffnen zu dürfen. Verständlicherweise. Aber die Auflagen sind so erdrückend, dass die Frage bleibt, ob das den Umsatz bringt, den sie brauchen. Wenn du am Ende mehr Aufwand betreiben musst, als du Gäste hast, dann wird da kein Schuh draus. Meine Bedenken sind ähnlich: Im September gebe ich zum ersten Mal ein Konzert, das eigentlich im April stattfinden sollte. Eigentlich ist das ein Konzert, das durch Eintritte finanziert wird. Zwei Musiker habe ich als Begleitung gebucht. Wenn ich Pech habe, lege ich am Ende Geld drauf. Aber ich werde das durchziehen, weil ich die beiden Kolleg:innen nicht hängenlassen möchte. Ich habe also viele Fragezeichen, wie sich das mit den Live-Konzerten entwickeln wird. Umso wichtiger ist es, Künstler:innen im Kleinen und Großen zu helfen. Sei es durch Musikkäufe, Hörerwünsche im Radio oder durch Petitionen, denen man sich anschließen kann – selbst wenn man nicht selbst betroffen ist. Das wäre eine wünschenswerte Unterstützung aus der breiten Mehrheit.

Interview: Benjamin Trilling

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