Nostalgie ist ein schwieriges Thema. Oft besagt sie, das früher alles besser gewesen sei. Das hören wir doch oft von unseren Eltern und Großeltern – und denken es manchmal selber. Das kann das heißen, das es angeblich weniger Kriminalität gab. Oder dass die Umwelt intakter war. Manche würden behaupten, dass es weniger Armut gab und die Menschen besser leben konnten. Doch stimmt das überhaupt?
Langsame Vergangenheit
Wir sind heute beeinflusst von den sozialen Medien, Nachrichten und Infos erreichen uns in Echtzeit. Das kann ein Zerrbild erzeugen, muss es aber nicht. Denn das ist auf der einen Seite eine sehr gute Voraussetzung dafür, sich eine aufgeklärte Meinung bilden können. Der negative Effekt ist aber, dass wir das gegenüber den langsameren Informationsflüssen der vergangenen Jahrzehnte kaum in Relation setzen können.
Gesamtgesellschaftlich sinkt die messbare schwere Kriminalität, aber wer weiß das und kann das fühlen, wenn wir an furchtbare Attentate wie in Solingen denken? War die Umwelt wirklich intakter? Denken wir doch an Tschernobyl oder die großen Giftmüllskandale. Menschen in Armut gab es auch in diesem Land immer. In allen Themenfeldern mag es Verschärfungen geben, sodass manche mit einem nostalgischen Blich zurück fragen: War es denn früher nicht doch besser? – Aber genau das glaube ich eben nicht!
Familienfreundlich
Vielleicht waren die fortschrittlich denkenden Menschen früher besser wahrnehmbar, denken wir an die großen Demonstrationen in Brokdorf, Wackersdorf und später Gorleben, wo Menschen in Bewegungen sich widersetzt haben und einiges erreichen konnten. Der geplante „schnelle Brüter“ in Kalkar ist heute ein Feriendomizil. Eine familienfreundliche Form des Fortschritts, der nur durch soziales Engagement erreicht werden konnte. Aber umkämpft waren diese Themen immer.
Und auch der Atomausstieg wurde erreicht, wir dürfen sagen, politisch erkämpft. Es gilt natürlich dran zu bleiben, damit das auch so kommt. Und da kommt die heutige Realität ins Spiel. Denn Nostalgie vermag nicht, die heutigen sozialen Auseinandersetzungen zu lösen, das liegt in der Natur der Sache. Aber mit dem nostalgischen Blick auf das Gestern, Schlüsse für das Heute zu ziehen, könnte doch sehr hilfreich sein.
Zahmer Protest
Heute kämpfen zum Beispiel Fridays for Future für Klimaschutz. Das könnte als Fortsetzung verstanden werden, eine Fortsetzung von dem, was in Gorleben an Widerstand gegen ein Atommüllendlager über viele Jahre geleistet wurde. Ja, der heutige Protest ist zahmer, aber er ist da. Braucht es einen nostalgischen Blick auf die damaligen Protestformen? Kommen sie wieder? Vielleicht gibt es auch andere Formen von Aushandlungsprozessen in Sinne der Klimagerechtigkeit. Genau wie auch heute Menschen Attentate von einzelnen islamistischen Tätern und Gruppen zu Recht aufs Schärfste verurteilen, sich aber gleichzeitig dagegen wehren, ganze Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren. Erinnert ihr euch an die Demonstration #unteilbar? Eine Viertelmillion stand auf gegen Rassismus. Das ist noch nicht gar nicht so lange her.
Eine Umzingelung des Bundestages wie bei der Asylrechtsänderung in den neunziger Jahren gibt es aber trotz sich verschärfender Gesetze nicht. Und die Armut steigt, das ist evident, aber sie war immer da.
Was schließen wir aus all dem? Die sozialen Erfahrungen von gestern mit zu denken und Schlüsse daraus für unser heutige Handeln zu ziehen, könnte eine passende Annäherung sein. Denn es geht doch darum, das Leben für alle Menschen besser zu machen und dann hätte unsere Nostalgie ihren Zweck erfüllt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Digitalisierung 2.0
Vortrag über KI in der VHS Essen – Spezial 10/24
Minimal bis crossmedial
Rekorde und Trends auf der Spiel Essen – Spezial 10/24
KI, eine monströse Muse
12. Kulturkonferenz Ruhr in Essen – Spezial 09/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24
Stimmen der Betroffenen
Vortrag über Israel und Nahost in Bochum – Spezial 04/24
Außerhalb der Volksgemeinschaft
Vortrag über die Verfolgung homosexueller Männer in der NS-Zeit in Dortmund – Spezial 04/24
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
„Was im Ruhrgebiet passiert, steht im globalen Zusammenhang“
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken über den Strukturwandel – Über Tage 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24
„Einer muss ja in Oberhausen das Licht ausmachen“
Fußballfunktionär Hajo Sommers über Missstände im Ruhrgebiet – Über Tage 02/24
„Mir sind die Schattenseiten deutlicher aufgefallen“
Nora Bossongüber ihre Tätigkeit als Metropolenschreiberin Ruhr – Über Tage 01/24
„Hip-Hop hat im Ruhrgebiet eine höhere Erreichbarkeit als Theater“
Zekai Fenerci von Pottporus über Urbane Kultur in der Region – Über Tage 12/23
Suche nach Klimastrategien
Gespräch im Essener LeseRaum Akazienallee – Spezial 11/23
„Das Ruhrgebiet erscheint mir wie ein Brennglas der deutschen Verhältnisse“
Regisseur Benjamin Reding über das Ruhrgebiet als Drehort – Über Tage 11/23
„Kaum jemand kann vom Schreiben leben“
Iuditha Balint vom Fritz-Hüser-Institut über die Literatur der Arbeitswelt – Über Tage 10/23
Irrweg deutscher Migrationspolitik
„Blackbox Abschiebung“ in Düsseldorf – Spezial 09/23
„Es hat mich umgehauen, so etwas Exotisches im Ruhrgebiet zu sehen“
Fotograf Henning Christoph über Erfahrungen, die seine Arbeit geprägt haben – Über Tage 09/23
Diskursive Fronten überwinden
„Produktives Streiten“ in Mülheim – Spezial 08/23
Erinnern heißt Widerstand
Sommerfest des Fritz Bauer Forums in Bochum – spezial 08/23
„Man könnte es Stadtpsychologie nennen“
Alexander Estis ist für sechs Monate Stadtschreiber von Dortmund – Über Tage 08/23
Metaphern, Mechaniken, Meisterschaften
Offener Tag im Flipperverein Freeplay.ruhr in Herten – Spezial 07/23