Das Wort klang wie von einem anderen Stern: „Kommilitone“. Gemeint waren die Mitstudierenden im Hörsaal, wie Michael schnell bemerkte, als er sein Studium begann. „Aber mit dem Uni-System hatte ich ja damals nicht viel zu tun“, erzählt der 36-jährige heute. Alleine war er mit dem Problem nicht. Heute engagiert sich Michael bei ArbeiterKind, wo knapp 6.000 Ehrenamtliche in 75 lokalen Gruppen aktiv sind. Gefördert wird das bundesweite Netzwerk von Ministerien, Stiftungen, Unternehmen und über 500 Einzelpersonen. Wer als erster in seiner Familie ein Studium aufnimmt (oder als SchülerIn plant), erhält hier Unterstützung.
An diesem Mittwochabend lädt die Bochumer Gruppe zum regelmäßigen, offenen Treffen ein. Es ist fast 19 Uhr. Die meisten Vorlesungen und Seminare sind vorbei. Nur wenige Studierende schlendern noch über den Campus. In der OASE, einer Studienberatungsstelle der Ruhr-Uni Bochum, haben sie einen Sitzkreis geformt.
In Bochum hat sich das ehrenamtliche Kernteam, das aus zehn Personen besteht, für diese offenen Runden entschieden. „Entweder kommen die Leute direkt vorbei oder schreiben uns an“, sagt Christin Gerber. „Das Treffen hier ist dann immer eine bunte Tüte.“ Die Fragen, die im Sitzkreis gestellt werden, sind dagegen oft gleich: Wie kann ich überhaupt ein Studium finanzieren? Wie packe ich die Prüfungen, wenn ich abends zum Nebenjob muss? Oder bin ich komplett verschuldet, wenn ich einen Bildungskredit aufnehme?
Bei ArbeiterKind findet man Rat und Hilfe, wie Christin Gerber erzählt: „Wir geben unsere Erfahrungen weiter und wollen damit Mut machen.“ Dass viele Ehrenamtliche selbst aus der ArbeiterInnenschicht stammen, hilft natürlich bei der Unterstützung im Uni-Alltag: Neben der Finanzierung kommt für Studierende aus Familien ohne akademischen Hintergrund die fremde Umgebung oder der Bildungsrückstand hinzu. Außerdem zeigen sich viele Eltern, die jahrelang arbeiteten, oft nicht begeistert vom Studienwunsch der Kinder. Diese Erfahrung machte auch Michael, als er sich für die Fächer Philosophie und VWL entschied. Doch der 36-jährige hat es schließlich geschafft: „Es gab viele Hindernisse. Aber es ist machbar.“
Aus der Malocher-Familie ins Master-Studium? Für viele ist dieser soziale Aufstieg mittlerweile möglich geworden. Für diese gute Nachricht mitverantwortlich sind auch die Beratungen von ArbeiterKind, die auf Schlupflöcher der Klassengrenzen hinweisen. Bafög oder Stipendien kommen in Frage. „Es gibt immer Mittel und Wege, ein Studium zu finanzieren“, sagt Benjamin Slowig. Der 33-jährige musste selbst 20 Stunden in der Woche nebenbei arbeiten, um sein Geschichtsstudium zu ermöglichen. Heute promoviert er in diesem Fach.
Von Bildungsgerechtigkeit wollen sie in der Bochumer ArbeiterKind-Gruppe deswegen allerdings nicht sprechen. „Es hat sich eigentlich nichts geändert“, sagt Slowig und zählt kritisch die Probleme auf: gleiche Fragen, gleiche Zahlen und die gleichen Einwände der Eltern. Ein jüngst veröffentlichter Studienreport des DGB untermauert diese Schieflage: Studierende mit Migrationshintergrund oder aus Arbeiterfamilien stehen meist ohne finanzielle Unterstützung da und müssen arbeiten. Zuletzt kam noch die Reform des Hochschulgesetzes dazu. „Starre Anwesenheitspflichten und andere Zwangsinstrumente erschweren gerade für Studierende mit Migrationsgeschichte und niedriger Bildungsherkunft die Studienbedingungen“, kritisierte etwa Anja Weber, Vorsitzende des DGB in NRW. Wege, diese Hürden zu meistern, finden AbsolventInnen dann bei ArbeiterKind.
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