Als sie im letzten Jahr starb, wurden in manchen Regionen des Vereinigten Königreichs Freudenfeuer entzündet. Es hatte seinen Grund, dass Margaret Thatcher den Beinamen „Eiserne Lady“ trug. Nicht nur gegenüber der IRA war sie unnachgiebig geblieben, als deren Kämpfer einer nach dem anderen im Gefängnis Long Kesh verhungerten. Ausgehungert wurden auch die Bergarbeiter in England. Ein Jahr streikten die Kumpel 1984, nachdem die konservative Regierung über eine veränderte Gesetzgebung und den Einfluss der Energieversorgungsunternehmen die einstmals mächtigen Gewerkschaften in die Knie zu zwingen versuchten. Als die Streikkassen leer waren, strich man den Kindern der Bergarbeiter sogar die Zuschüsse für die Schuluniformen und schloss sie von der kostenfreien Schulspeisung aus. Jetzt schildert David Peace, der selbst aus Yorkshire stammt, in seinem Roman „GB84“, wie jene dunkle Zeit – in der Regierung, Justiz und Medien die Gewerkschaften abwechseln in die Zange nahmen – die Region im Norden Englands traumatisierte.
Peace schrieb sich mit seinen vier Romanen über die Mordserie des Yorkshire-Rippers Ende der siebziger Jahre – die später unter der Bezeichnung „Red-Riding-Quartett“ legendär wurden – in die erste Reihe der britischen Literatur. Wobei der heute 48-Jährige eine Art literarische Splatter-Technik perfektionierte. Stimmen dringen von allen Seiten auf seine Leser ein. So ist es auch in „GB84“, in dem neben dem kleingedruckten Endlosbericht zweier Arbeiter ein Erzähler sein Auge ebenso auf Arthur Scargill, den Gewerkschaftsführer wie auf die Premierministerin und zahlreiche Personen im Umfeld der beiden wirft. Da ist Terry Winters, der Gewerkschaftsfunktionär, der im hektischen Kampfgeschehen den Überblick verliert und zwischen politischer Aktion, Geldgeschäften und dem Verhältnis mit einer Agentin des MI5 die Orientierung verliert.
Sein Gegenspieler Stephen Sweet, ein mit allen Vollmachten ausgestatteter Handlanger der Premierministerin, knüpft ein perfides Netz politischer Intrigen. Zwischen den Frontlinien bewegt sich Neil Fontaine, dessen Frau der Kopf abgeschnitten wird. Peace beschert dem Roman ein Szenario düsterer Bitternis. Das Chaos eines Krieges innerhalb der Gesellschaft heizt er gezielt mit Gewalt an. Der Geheimdienst sendet ein Killerkommando aus, die Gewerkschaftsgangs schlagen in blinder Wut auf Streikbrecher ein. Tatsächlich gab es elf Tote während der 53 Streikwochen, die dem Roman ebenso viele Kapitel bescheren.
Für seine Leser stellt „GB84“ ein gespenstisches Abenteuer dar. Peace versteht es wie nur wenige zeitgenössische Autoren, seine Leser in die Realität einer vergangenen Epoche zu ziehen. Die wuchtige Mischung aus politischer Gewalt, Zynismus, Sex, dem Sarkasmus der Regierung, der Selbstüberschätzung der Funktionäre und dem Bodensatz sozialer Ungerechtigkeit gibt eine Vorstellung von der historischen Dimension des Streiks. Nach seinem Scheitern vollzog sich ein Bruch zwischen den Klassen, der dem Neoliberalismus bis heute den Weg bereitete. So stellt der Roman trotz seiner dramatischen Fiktionen ein verstörendes Stück europäischer Geschichtsschreibung dar. Auch wenn Peace ihn schon vor zehn Jahren schrieb, gewinnt er noch an Aktualität in einer Zeit, in der die Klassengegensätze immer weiter auseinanderklaffen.
Am 15. März (19.30 Uhr) wird David Peace im Rahmen der lit.Cologne seinen Roman im Polizeipräsidium Köln (Walter-Pauli-Ring 2-6) vorstellen.
David Peace: GB84. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind 512 S., 24,80 €
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