Geschichte wiederholt sich. Nicht als Farce, nicht als Tragödie, sondern einfach nur als schnöde Wiederholung des Immergleichen. Ebenso wenig wie man heute nirgendwo vor alten Derrick-Folgen und dem Song „Where is my mind?” von den Pixies sicher ist, so wenig gibt es eine Chance, folgendem Ablauf der Ereignisse zu entkommen: Irgendwo im Ruhrgebiet steht ein Gebäude leer. Meistens war es auf die Nutzung durch große Gruppen ausgelegt, z. B. eine Schule. Oder ein Museum. Oder ähnliches. Der Leerstand tut dem Gebäude nicht unbedingt gut, manchmal sind bereits Fensterscheiben eingeworfen, manchmal ist es aber einfach nur Gegenstand für einen Sommerlochartikel des Subgenres „Neue Pläne für XYZ”. Aber auch die wiederholen sich Sommerloch um Sommerloch. Dann irgendwann tritt eine Gruppe junger Menschen auf. Sie haben studiert, manche länger, andere erst seit kurzem. Und irgendwann während diese Studiums haben sie eine Idee bekommen: Raum, für den die Öffentlichkeit mal mit Steuermitteln bezahlt hat, solle irgendwie auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Kann man ja mal drüber nachdenken. Also ziehen diese jungen Menschen in eins dieser leerstehenden Gebäude ein, auch wenn sie keinen Schlüssel dafür besitzen. Den Einzug kommunizieren sie dann nach draußen – per Transparent und durch Abspielen des immergleichen Songs von Ton Steine Scherben: „Doch die Leute im besetzten Haus riefen ‚Ihr kriegt uns hier nicht raus!‘“.
Soweit ist die Geschichte bekannt. Oder es wäre schön, wenn sie es denn wäre. Denn ein Großteil dessen, was man Woche für Woche als Teil der kulturellen Infrastruktur des Ruhrgebiets wahrnimmt, ist aus ebensolchen Aktionen entstanden: der Bahnhof Langendreer in Bochum, die Zeche Carl in Essen. Auch beim Oberhausener Druckluft wurde der Leerstand erst mit dem Engagement einer Basisinitiative beendet. Und selbst wenn man es mit Blick auf ihr heutiges Programm nicht so häufig glauben mag, für Popkultur waren Orte dieser Art immer wichtig – als Versprechen auf eine bessere Zukunft. Und selbst wenn diese Zukunft nicht wie die Visionen der Gründungsphase ausgefallen ist, hatten zumindest alle Beteiligten die Chance, sich auszuprobieren, Fehler zu begehen und aus diesen zu lernen. So war es zumindest vor gut 30 Jahren. Für „Bärendelle“ „UZDO“ oder welchen Namen auch immer sich die BesetzerInnen von heute für ihr Projekt ausgedacht haben, haben die Stadtverwaltungen im 21. Jahrhunderts aber nur das Räumkommando übrig. Hier wiederholt sich die Geschichte auf andere Weise. Beim Lesen der Hintergründe beschleicht einen das Gefühl, in einem Film der 1950er gelandet zu sein, in dem der „Onkel aus Amerika” die Sache schon in Richtung Happy End biegen wird. Dieser Onkel hört heute auf verschiedene Namen. Mal heißt er „Kreativwirtschaft“, mal „der Investor, mit dem man im Gespräch ist“. Nur das Happy End ist für die leerstehenden Gebäude bislang ausgeblieben. Deshalb folgende Bitten: Liebe Stadtverwaltungen – schaut doch bisweilen mal in eure eigenen Archive oder besucht die Konferenz „Interventionen – Stadt für alle” im Bahnhof Langendreer, um eine Zukunft jenseits leerer Renditeversprechen wiederzuentdecken. Und liebe BesetzerInnen – löscht doch endlich mal diesen schrecklichen Ton Steine Scherben-Song von euren Smartphones. Das Bethanien ist ja schließlich auch nicht mehr besetzt.
„Interventionen – Stadt für alle“ | Bahnhof Langendreer, Bochum | Sa. 28.9. 10 Uhr | www.interventionen.org
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Bochum und Köln – Musik 07/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24
Musik mit Sogwirkung
Derya Yıldırım und Grup Şimşek in Bochum – Musik 12/23
Dokumentation rechten Terrors
„Der Halle-Prozess“ in Bochum – Spezial 03/23
Knotenpunkt der Kultur
Bahnhof Langendreer feiert 36-jähriges Jubiläum – Prolog 07/22
Belletristik für Bestandskunden
Heinz Strunk in Bochum – Literatur 04/22
Alle Macht den Care- und Energieräten
Gabriele Winker in Bochum – Literatur 04/22
Berufung auf Umwegen
Nikita Miller zu Gast in Langendreer
Bühne frei
Poetry und Open Mic Bühne mit Ajayini Sathyan
Alles auf Prüfstand
Politisches Kabarett mit Jean-Philippe Kindler
Reden über Belarus
Vortragsabend im Bahnhof Langendreer
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23
Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23