Am Anfang war eine kalte, zugige Ückendorfer Halle. Die Heizung versagte jämmerlich, das löcherige Dach verwandelte den Raum in Tropfhöhle und Pfützenland. Unter diesen Umständen im Advent 2009 Kunst zu präsentieren, war ohne Zweifel eine abenteuerliche Vorstellung. Doch sie gelang. Seitdem ist die Stadt um die vielbeachtete „Kunst Peripherie Ruhrstadt“ reicher.
Das Konzept des schon sechsfach aufgelegten Events: Man nehme eine lang leerstehende Behausung, setze Bilder, Fotos, Filme, Skulpturen in irgendwie organisiertes Licht, bastle ein Beiprogramm, lade abends zur netten Party. Und verschwinde am nächsten Tag wieder. Die Kunst-Guerilla-Aktion haben der Szene-Aktivist David Kumpernas (40) und der Theatermann Daniel Schulz (37) ersonnen: „Uns war langweilig, weil einfach nix passierte.“
„Kunst Peripherie Ruhrstadt“ geriet schon im Namen als schelmischer Vorwurf an die Kulturhauptstadt-Macher, bei denen lokale Akteure sich eher an den Rand gestellt fühlten. Daraus machten Kumpernas und Schulz ein Pfund. Und wunderten sich nur anfangs über stetig steigende Resonanz, „und dass Gelsenkirchen richtig wild auf so eine Art Kultur ist.“ Nach Locations für die KPR musste man fortan nicht mehr suchen – die Angebote kamen von allein: ehemalige Muckibuden, umgebaute Schlichtwohnungen, funktionslose Gotteshäuser. Freilich waren manch offerierte Leerstände selbst unter spartanischsten Erwartungen unbrauchbar. „Da gehen wir selbst im Sommer alle tot drin“, urteilten die beiden Initiatoren über einen aufgelassenen Bunker. Im Schnitt 300 Kunst- und Partyhungrige verzeichneten die KPR-Macher an den Eventwochenenden. Zu sehen bekam man neben eher unbekannten Underdogs auch Arbeiten von gestandenen oder schon international erfahrenen Künstlerinnen wie Claudia Lüke oder Heike Feddern. Umgekehrt nutzten Newcomer die kostenlose Plattform gewinnbringend. David Kumpernas schwärmt von den Fotoarbeiten Dennis Weinbörners oder großformatigen Fischkreaturen, die Henning Dahlhaus auf Leinwand bringt. Letzterer stellte im KPR-Kontext erstmals aus – weitere Gelegenheiten folgten flugs.
Auf Unterstützung aus öffentlichen Kassen haben Kumpernas und Schulz bewusst verzichtet: „Wir wollten nicht, dass jemand in unser Konzept reinredet.“ Im neuen Jahr wird die „Kunst Peripherie Ruhrstadt“ fortgesetzt – nach bewährtem Muster, mit neuen Leer-Standorten. Mindestens einmal wollen die Macher Theater, Musik und Lesungen auch zur Hauptattraktion erheben. In Gelsenkirchen endete das Kulturhauptstadtjahr mit der Installation des 18-Meter-Herkules hoch oben auf dem „Nordstern“-Turm. Auf der Suche nach dem, was von 2010 bleibt, lohnt sich aber auch der Blick in vermeintliche „Niederungen“. Die Szene hat sich berappelt.
www.kunst-peripherie-ruhrstadt2010.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zum Wohl!
Intro – Rausch im Glück
Gute Zeiten für Verführer
Teil 1: Leitartikel – Das Spiel mit dem Glücksspiel
„Ich vermisse die Stimme der Betroffenen“
Teil 1: Interview – Psychologe Tobias Hayer über Glücksspielsucht
Suchthilfe aus der Ferne
Teil 1: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen
Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 2: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen
„Wir haben das Recht auf Rausch“
Teil 2: Interview – Mediziner Gernot Rücker über die Legalisierung von Drogen
Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis
Konsum außer Kontrolle
Teil 3: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt
„Dann übernimmt das Lusthirn“
Teil 3: Interview – Psychotherapeutin Nadine Farronato über Kaufsucht
Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilft auch bei Kaufsucht weiter
Ausgespielt!
Spielautomaten aus Kleinstädten verbannt – Europa-Vorbild: Rumänien
German Normalo
Zwischen Selbstoptimierung und Abhängigkeit – Glosse
Panzer vs. Schulen
Intro – Kriegszitterer
Gewalt mit System
Teil 1: Leitartikel – Patriarchale Strukturen ermöglichen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
„Eine totale Machtdemonstration“
Teil 1: Interview – Kindernothilfe-Mitarbeiter Frank Mischo zu sexualisierter Gewalt in Krisengebieten
Erinnern im ehemaligen Arbeitslager
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen
Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt
Teil 2: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
„Rassismus und Herablassung“
Teil 2: Interview – Historiker Andreas Eckert über die Folgen des europäischen Kolonialismus
Für ein Ende der Ignoranz
Teil 2: Lokale Initiativen – Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ im NS-Dok
Multipolare Wirklichkeit
Teil 3: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses
„Zunehmende Unglaubwürdigkeit des Westens“
Teil 3: Interview – Politologe Ulrich Brand über geopolitische Umwälzungen und internationale Politik
Welt am Wendepunkt
Teil 3: Lokale Initiativen – Soziologe Joris Steg über Chancen und Risiken einer neuen Weltordnung
Zum Herzen durch Verstand
Wie Deutschlands Erinnerungskultur ein NS-Opfer vom Hass abbrachte – Europa-Vorbild Deutschland
Sündenböcke, Menschenrechte, Instagram
Deutschland und der Krieg – Glosse
Generationenwissen
Intro – Auf ein Neues