Als einer der ersten forderte der Baden-Württembergische Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Peter Haug (CDU) Ende März angesichts des Überfalls Putins auf die Ukraine einen totalen Gas- und Ölboykott gegen Russland. Dass damit die Versorgungssicherheit mit Energie in der BRD gefährdet würde, focht Haug nicht an: „15 Grad im Winter hält man im Pullover aus. Daran stirbt niemand“, sagte Haug in einer Landtagsdebatte. „Frieren gegen Putin“, das ist griffig und angesichts des Kriegs, der bislang tausende Menschen das Leben gekostet hat, ein durchaus erträgliches Opfer. Es wäre jedoch interessant gewesen zu erfahren, wie die Parteien der Mitte vor einem halben Jahr beispielsweise eine „Fridays for Future“-Forderung nach „Frieren gegen die Klimakrise“ gefunden hätten? Vermutlich hätte nicht nur Haug über Wohlstandsgefährdung gezetert. Abgesehen davon, lässt sich eine Boykott-Forderung mit einer monatlichen Ministerdiät von rund 15.000 Euro leicht dekretieren. Nicht wenige Menschen in Deutschland müssen ein ganzes Jahr hiervon wohnen, essen und heizen – und das sind nicht mal die ganz Armen. Am Palmsonntag wies CDU-Generalsekretär Mario Czaja gegenüber der dpa Forderungen nach einem Totalboykott zurück. Es gehe nicht um die Frage, „ob wir für den Frieden in der Ukraine ein bisschen frieren können“. Es gehe vielmehr um den Erhalt von Millionen Arbeitsplätzen, um Existenzen, um den sozialen Frieden.
Frieren fürs Klima?
Wie in allen Krisen und Kriegen sind es die Beschäftigten und das Prekariat, die die Kosten tragen. Die Grenze zwischen Kriegsverlierern und -gewinnernverläuft nicht allein entlang von Staatsgrenzen; sie verläuft – wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus – mitten durch Gesellschaften hindurch: Oben gewinnt. Unten verliert und wird zahlreicher.
Selbst die Vorstöße der EU-Kommission von Ende März, die Erdgaskäufe in Russland um gut zwei Drittel zu senken und sich bis spätestens 2030 komplett vom russischen Energiemarkt zu entkoppeln, sind teuer, schädlich und riskant. Günstige Energie gehört damit der Vergangenheit an. Das gilt insbesondere beim Erdgas, denn Flüssiggas (Liquified Natural Gas, LNG), das zukünftig aus den USA und den autoritären Golfstaaten bezogen werden soll, ist wesentlich teurer als Pipline-Gas. LNG ist auch klima- und umweltschädlicher, das aus den USA ist zudem Fracking-Gas. Die Versorgungssicherheit ist auch gefährdet, weil ein potenter Gaslieferant, das nordafrikanische Libyen, 2011 – nun ja – durch einen Angriffskrieg der Nato unter Führung mehrerer europäischer Länder und den USA vom höchstentwickelten Land Afrikas in einen „failed state“ gebombt wurde.
Millionen Menschen in Armut
Wer angesichts des Krieges ein Ölembargo gegen Russland befürwortet, befürwortet nicht bloß die Verarmung von 145 Millionen Russen, sondern befürwortet mit kalter Rationalität auch einen bislang ungekannten Verelendungsschub in weiten Teilen der nichtwestlichen Welt. Die Folgen: schwere Verwerfungen in ohnehin schwachen Volkswirtschaften im globalen Süden, vielleicht sogar – Ökonomen schließen das nicht aus – der Kollaps ganzer Staaten in Afrika oder Lateinamerika. Ferner führen Krieg und transatlantische Sanktionen zu Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln. Das US-Institut Center for Global Development erwartet 40 Millionen zusätzliche Menschen in „extremer Armut“.
Bei aller moralischen Entrüstung über den Ukraine-Krieg sollte nicht vergessen werden: Nicht nur einzelne Länder, sondern ganze Weltregionen ins Elend zu stürzen, ist und bleibt Privileg „wertegeleiteter“ transatlantischer Politik.
ZEITENWENDE - Aktiv im Thema
iwkoeln.de | Die Ökonomin Sarah Fluchs skizziert in den Nachrichten des Instituts der deutschen Wirtschaft, wie Kriege die Umwelt schädigen.
nabu.de/news | Der Naturschutzbund Deutschland betont angesichts des Kriegs in der Ukraine den Zusammenhang von sicherheits- und umweltpolitischen Herausforderungen.
greenpeace.de/frieden/krieg-umwelt | Der Greenpeace-Beitrag diskutiert am Beispiel des Irak, wie Kriege sich gezielt auch gegen die Umwelt richten.
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