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Stefan Küper
Foto: Germanwatch (Ausschnitt)

„Wir brauchen einen Turbo bei Erneuerbaren“

27. April 2022

Germanwatch-Sprecher Stefan Küper über Umwelt, Ressourcen und Zukunft – Teil 1: Interview

trailer: Herr Küper, Deutschland änderte schon 2002 das Atomgesetz und beschloss 2011, nach der Katastrophe von Fukushima, den Atomausstieg. Heute sind fast alle Reaktoren abgeschaltet, Ende 2022 sollten die letzten vom Netz gehen. Doch nun heißt es, wir brauchen Atomenergie, um die Versorgung zu gewährleisten. Was haben wir denn in den letzten 20 Jahren für unsere Energieversorgung getan?

Stefan Küper: Wir haben in den Nullerjahren recht viel, aber danach über weite Strecken nicht genug getan. Deutschland war Vorreiter beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und hat damit auch international viele Investitionen in diese Technologien mit angeschoben, sodass sie mittlerweile weltweit günstiger sind als fossile Energien. Allerdings haben die letzten Bundes- und zum Teil auch Landesregierungen dann den Vorsprung verspielt und den Ausbau vor allem bei Windkraft an Land in den vergangenen Jahren sogar fast zum Stillstand gebracht. Da soll und muss nun sehr schnell wieder Fahrt aufgenommen werden, genauso wie in der Solarenergie und – vor allem – bei der Energieeffizienz, z.B. in Bestandsbauten. Wir brauchen keine Atomenergie für unsere Versorgungssicherheit, aber wir brauchen einen Turbo bei Erneuerbaren, Effizienz und bei noch ungenutzten Potenzialen zum Energiesparen.

Die Unterstützung für Erneuerbare ist in der Breite der Bevölkerung sehr hoch“

Alle wollen „grüne“, saubere Energie – doch der Ausbau kommt nicht voran. Laut einem Bericht des SWR war 2021 sogar das schlechteste Jahr überhaupt, was Ausbau von Windenergie betrifft. Es scheint, je mehr die Menschen saubere Energie wollen, desto weniger wird sie ausgebaut. Wie passen Wunsch und Wirklichkeit in Deutschland zusammen?

Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Die Unterstützung für Erneuerbare ist in der Breite der Bevölkerung sehr hoch. Lokal scheint das nicht immer so zu sein und daraus haben einige Landesregierungen den Schluss gezogen, man müsse den Ausbau erschweren und Windkraft extrem weit weg drängen von jeder Wohnbebauung. Dabei gibt es jede Menge Projekte, die zeigen: Wenn Menschen vor Ort aktiv in Windkraftprojekte eingebunden werden, wenn ihre Kommune ganz konkret auch finanziell davon profitiert, dann ist der Rückhalt zumeist sehr groß. Das muss jetzt durch das angekündigte Klimasofortprogramm in die Breite gebracht werden. Beteiligt die Menschen an den Vorzügen der Stromerzeugung in ihrer Region, macht die Projekte auch zu ihren Projekten!

Studien der Energy Watch Group aus 2021 sagen, die Energieziele zu erreichen sei möglich. Mir scheint das jedoch unrealistisch. Glauben Sie, dass Deutschland noch seine Klimaziele erreichen kann? Was müsste dafür passieren?

Die Klimaziele, die Deutschland sich für 2030, 2040 und 2045 gesetzt hat, sind auf jeden Fall erreichbar, dass zeigen weitere fünf Klimaneutralitätsstudien von renommierten Forschungsinstituten. Doch derzeit sind wir weit vom richtigen Pfad entfernt. Um das zu ändern, müssen wir neben dem schon erwähnten Turbo bei den Erneuerbaren vor allem an die größten Problemfälle ran: Die Emissionen im Verkehrssektor müssen endlich runter, da sind wir immer noch auf dem Niveau von 1990. Das klappt nicht allein über E-Autos, sondern da muss auch deutlich mehr auf die Schiene und auf ein stark verbessertes Radwegenetz. Wir müssen schneller aus der besonders klimaschädlichen Kohleverstromung raus, also bis 2030. Und wir haben große Emissionen in Gebäuden und Landwirtschaft. Wir müssen vor allem bei älteren Gebäuden die energetische Sanierung stark beschleunigen und in der Landwirtschaft raus aus der industriellen Massentierhaltung, denn diese sorgt für hohe Methan- und CO2-Emissionen – durch die Tiere selbst und durch die Futterproduktion.

Der neue Sicherheitsetat zeigt auch, was politisch möglich ist, wenn der Wille da ist“

Als Folge des Ukraine-Kriegs gibt es auch Engpässe bei Speiseöl und Weizen. Jetzt kommen eventuell verbotene Pestizide wieder zum Einsatz, um landwirtschaftliche Erträge zu erhöhen. Verzweifeln Sie da als NGO?

Nein, sonst könnten wir einpacken und Germanwatch dichtmachen, was wir aber sicher nicht vorhaben. Was auf keinen Fall passieren darf wäre, dass europäische Programme zur Ökologisierung der Landwirtschaft, die unter anderem eine klare Pestizid- und Antibiotikareduktion vorsehen, ausgesetzt würden.Aber noch ist nichts entschieden und daher glaube ich: Gerade jetzt lohnt es sich, sich ins Zeug zu legen! Wir haben auch einiges erreicht in den vergangenen Jahren und das lässt sich nicht so einfach wieder abräumen.Und wir sehen ja gerade, wie gefährlich unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen wie Gas und Öl ist.

Geld regiert die Welt, heißt es. Können wir mit Geld den Planeten retten? Mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, wie es im Bundeshaushalt für Rüstung beschlossen wurde?

Mit einem Rüstungspaket können wir sicher nicht den Planeten retten. Wir hoffen auch, dass es noch gelingt, dieses Paket auch für zivile Friedenssicherung nutzbar zu machen. Aber Geld spielt auch beim Klimaschutz eine entscheidende Rolle, ja. Daher sind zum Beispiel Nachhaltigkeitskriterien für Investitionen so wichtig. Wenn es gelingt, die großen Investitionsströme aus den fossilen Branchen heraus in nachhaltige Geschäftsfelder zu lenken, dann ist das ein enormer Beschleuniger für den Klimaschutz weltweit und ein großer Beitrag für den Frieden. Im Übrigen zeigt der neue Sicherheitsetat ja auch, was politisch möglich ist, wenn der Wille da ist. Investitionen in Klimaschutz rentieren sich, denn Nichtstun verursacht unbewältigbare Kosten.

Die meisten Politiker:innen haben durchaus gute Motive für ihr Handeln“

Der Bildungsetat beträgt im Vergleich 20,9 Milliarden, der für Forschung und Entwicklung ca. 17 Milliarden Euro – obwohl wir sehr schnell innovative Lösungen brauchen. Legen solche Differenzen nicht nahe, dass diese Zukunftsfragen den Regierenden egal sind?

Das glaube ich nicht. Bei den Allermeisten mangelt es nicht an gutem Willen. Manchmal mangelt es an Wissen, manchmal verlieren einige angesichts der immer schneller aufeinander folgenden Krisen auch den Überblick und manchmal spielt sicher auch Lobbydruck eine Rolle. Aber unsere Erfahrung ist: Die meisten Politiker:innen sind offen für den Austausch und haben auch durchaus gute Motive für ihr Handeln.

In Krisenzeiten wie diesen, was kann jede:r Einzelne:r heute noch tun?

Vor allem bei den ökologischen Zielen wiesen die Trends auch schon vor der Corona-Pandemie in die falsche Richtung. Mit der Pandemie sind nun in vielen Ländern soziale und sozioökonomische Ziele stark unter Druck gekommen, der Krieg in der Ukraine droht die Situation in vielen Ländern nochmal massiv zu verschlimmern. Aber gerade jetzt kann unser Handeln den entscheidenden Unterschied machen. Politik in Demokratien reagiert durchaus auf Stimmungen und Forderungen aus der Gesellschaft. Das hat zum Beispiel der Druck, den Fridays for Future gemeinsam mit großen Teilen der Zivilgesellschaft bisher erzeugt hat, schon gezeigt. Wir können Teil dieser Politik-Antreiber:innen sein und auch Rahmenbedingungen in unserem Umfeld selber verändern. Indem wir nicht nur unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern, sondern auch den Handabdruck unseres Engagements vergrößern.Wie das auch mit wenig Aufwand klappen kann, zeigt Germanwatch zum Beispiel mit dem Hand-Print: www.germanwatch.org/de/handprint.


ZEITENWENDE - Aktiv im Thema

iwkoeln.de | Die Ökonomin Sarah Fluchs skizziert in den Nachrichten des Instituts der deutschen Wirtschaft, wie Kriege die Umwelt schädigen.
nabu.de/news | Der Naturschutzbund Deutschland betont angesichts des Kriegs in der Ukraine den Zusammenhang von sicherheits- und umweltpolitischen Herausforderungen.
greenpeace.de/frieden/krieg-umwelt | Der Greenpeace-Beitrag diskutiert am Beispiel des Irak, wie Kriege sich gezielt auch gegen die Umwelt richten.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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Interview: Tina Adomako

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