Was kann Horror? Zuallererst: Geld einspielen mit kalkulierten Schockeffekten. Das macht Spaß, und hier und da schreibt ein überregionales Feuilleton pflichtbewusst über wackelnde Kameras, Gruselmusik und andere Stilmittel aus der Grusel-Trickkiste.
Die Alternative: Unter die Haut gehen, tief verstören, die Moral- und Ekelgrenzen ernsthaft ausloten. Kann Spaß machen, bringt auf jeden Fall kein Geld und die Macher müssen sich vor ihrer Zunft verteidigen, wieso sie sich mit dieser scheinbar trivialen Form des Films überhaupt befassen.
Von Freud und Leid des ernsthaften Horrors sprach am Freitag den 3.7. Regiesseur Jörg Buttgereit im Roxy Dortmund – anlässlich der Vorführung von „German Angst", einem dreiteiligen Episodenfilm von ihm, Andreas Marschall und Michal Kosakowski.
„Die Deutschen sind sich ihrer Horrorvergangenheit nicht bewusst", findet Buttgereit. Er denkt dabei an Nosferatu, Dr. Caligari, Das Phantom der Oper – den Leinwand-Horror der Weimarer Republik, zweifellos ein Stück Filmgeschichte. Deshalb „German Angst". Andreas Marschalls Episode „Alraune" knüpft an diese Tradition an: Der Schrecken nimmt seinen Ausgang im Berliner Nachtleben, im zu Techno-Beats pochenden Herzen des Hedonismus. Koks auf nackter Haut und alte Männerkörper, geil vom Genuss psychoaktiver Pflanzen bilden die Koordinaten, zwischen denen Protagonist Eden navigiert, bis zur endgültigen Erfüllung von Eros und Thanatos – Sex und Mord in Tateinheit. Die Alraune als magisches Kraut spielte schon in frühen Horrorfilmen und romantischer Schauerliteratur eine Rolle.
Michal Kosakowski beschäftigt sich mit dem deutschen Horror der Gegenwart und erzählt eine Geschichte über Nazi-Gewalt. Und nicht zuletzt ist da „Final Girl", die Episode von Jörg Buttgereit: Die Ermächtigungsgeschichte eines missbrauchten Mädchens, die bewaffnet mit Gartenschere und Küchengerät Rache an ihrem Vater nimmt, dass es Psychoanalytikern eine Freude wäre. Mit Horror habe sein Film sogar recht wenig zutun, findet Buttgereit: „Alles was einen Horrorfilm ausmacht, ist ja schon passiert", sagt er.
Finanziert wurde das Filmprojekt unter anderem durch Crowdfunding. Fördergelder mag es in der deutschen Filmbranche für allerlei geben, aber nicht für die vermeintlichen Schmuddelfilmchen mit Kastrationsszenen, Sex-Mord-Totschlag und alten Männern auf Drogen. „Die Fördergelder braucht ja der Til Schweiger", scherzt Buttgereit. In Deutschland müsse man sich immer noch rechtfertigen, wenn man ernsthaft Horrorfilme machen will. „In Genres wo der Kunstverdacht höher ist – im Theater oder beim Hörspiel – hört man mir eher zu", sagt er. Deshalb hat er sich, abgesehen von Liebhaberprojekten wie „German Angst" auch vom Filmemachen verabschiedet: „Ich habe mich und alle meine Bekannten schamlos ausgenutzt – darauf habe ich keine Lust mehr."
Schamlosigkeit in Sachen Gewalt ist überraschenderweise nicht so Buttgereits Ding: „Ich bin kein Fan von Horrorkomödien wo Köpfe abhacken wie Torten werfen ist"; sagt er. Dementsprechend besteht der wirkliche Grusel von „Final Girl" für ihn nicht in der Kastration oder gar der Hinrichtung des Peinigers: „Das eigentlich Subversive ist der echte Schwanz des Vaters."
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