Es ist nur ein Biss in ein Stück Salami. Und doch bricht mit der Mahlzeit eine neue Epoche an, als der Schweizer Theologie Ulrich Zwingli mit seinen Mitstreitern am Tisch sitzt und ordentlich zugelangt wird. Denn eigentlich gilt Fastenzeit. Doch steht diese Ernährungsempfehlung konkret in der Bibel? Nö, denken sich die innerkirchlichen Oppositionellen und rufen mal eben das Ende dieser Diät-Doktrin aus. Um das allen Christenmenschen einzubläuen, wollen sie die heilige Schrift direkt ins Deutsche übersetzen. So reiht sich ein Tabubruch an den nächsten. Die Reformation regiert in diesem Jahr, 1519, in Zürich.
Doch dass diese turbulenten Jahre auch in der Schweiz einen historischen Umbruch einleiteten, ist im großen Nachbarland bisher kaum berücksichtigt worden. Nun hat sich Regisseur Stefan Haupt dem Stoff gewidmet und das aufwendige Historienepos „Zwingli – Der Reformator“ zusammen mit Hauptdarsteller Max Simonischek und Produzent Mario Krebs bei der NRW-Premiere vorgestellt. Nach der Vorstellung plauderten die Filmschaffenden in der Essener Lichtburg mit Präses Manfred Rekowski von der Evangelische Kirche im Rheinland und dem Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck.
Genug Gesprächsstoff lieferte dieses gleichnamige Biopic über den Reformator ohnehin. Denn die historischen Geschehnisse über religiöse Emanzipation und Konflikte verpackt Stefan Haupt zu einem dichten Historienthriller: Kaum erreicht dieser fleißige Leser von Erasmus, damals ein Star unter den Humanisten, Zürich, zettelt er eine Revolte an. Und gerät schnell in einen Konflikt mit den damaligen Noch-Establishment-Krisenmanagern der katholischen Kirche. Kurz: Zwingli ist so etwas wie ein Geistesverwandter Martin Luthers – minus antisemitischen Flausen im Kopf, plus frühsozialistischer Wut im Bauch („diese dicken Säue in ihren braunen Mastkutten“).
Umso überraschender erscheint es, dass sich noch niemand an eine Verfilmung herantraute. „Leider wissen die Menschen in unserem Land zu wenig über Zwingli“, bewarb Produzent Mario Krebs den religiösen Revoluzzer: „Denken und Glauben waren für ihn kein Gegensatz. In sozialen Fragen war er sehr radikal. Zwingli ist modern, modern, modern.“
Diesen damals noch blasphemischen Extremismus lässt auch der Film flott Revue passieren: Zwingli, der das lateinische Kauderwelsch aus der Kirche bannen will. Zwingli, der das klerikale Sozialstatus-Geschirr in den Gotteshäusern für die Bedürftigen kollektiviert. Zwingli, der sogar das Zölibat in Frage stellt und heiratet. Bis in einer Szene munter unter den Geistlichen herum geflirtet wird. So herrschen Sex, Salami und Sozialismus im bisher katholisch getakteten Zürich.
Die sogenannten Täufer wollen schließlich mehr, quasi eine permanente Reformation. Weswegen Stefan Haupt schließlich das Gesehen kippen lässt, als Zwingli zwischen die Radikalen und die Reaktionären gerät. „Wie bei jeder Revolution kommen irgendwann die Anarchisten“, erklärt der Regisseur. So dreht sich sein monumentales Werk um Fanatismus und Idealismus, Krieg und Gewalt. Fragen, die natürlich auch heutige Kirchenamtsträger beschäftigen. „Es zeigt ökumenische Herausforderungen, die wir heute zu bestehen haben“, sagt etwa Bischof Overbeck und fügt hinzu „Die Kirche ist immer zu reformieren.“ Dies muss dann jedoch ohne Zwingli geschehen, der schon etwa 1519 gegen das Zölibat ankämpfte. Als der Visionär im Film von einer Ehe für Geistliche träumt, entgegnen ihm seine Mitstreiter: „Die wird es nicht geben. Auch nicht in 500 Jahren.“
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