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Hassan, Kameramann Haydar, und Ahmed (v.li.n.re.) von „12thMemoRise“ diskutieren mit dem Publikum
Foto: Maxi Braun

Kanalisierte Wut

19. Juli 2017

AktivistInnen von „12thMemoRise“ zeigen „Glaubenskrieger“ im Filmstudio Glückauf in Essen – Foyer 07/17

Essen, 17. Juli – Schnell wurde Kritik laut, als Mitte Juni einige tausend Menschen in Köln friedlich gegen islamistischen Terror demonstrierten: Wieso so wenig, wo sind sie denn, die MuslimInnen, die sich öffentlich gegen den im Namen ihrer Religion verübten Terrorismus stellen? Lamya Kaddor, Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, erklärte auf der Demo, man könne sich nur von etwas distanzieren, zu dem man zuvor eine Nähe verspürt habe. Sie wolle sich vielmehr positionieren und ein Zeichen gegen Gewalt setzen.

Den einen, homogenen Islam und „die“ MuslimInnen gibt es zwar nicht, Kritik am radikalen Islam aus dem Innern der muslimischen Glaubensgemeinschaft organisiert sich aber durchaus. Zum Beispiel in Düsseldorf: Dort wohnen die Gründer des Netzwerks „12thMemoRise“. Seit 2015 macht die Gruppe mit drastischen Aktionen in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam. In der Essener Innenstadt stellten sie eine Hinrichtung des sogenannten IS nach und veranstalteten einen fiktiven Sklavenmarkt, wie er unter dem IS in Mossul Realität war. Die Videos zu diesen Aktionen verbreiten sie auf ihrem YouTube-Channel oder dem offiziellen Facebook-Profil, wo sie sich auch langwierigen Diskussionen in den Kommentarspalten stellen.

Ihr Ziel ist es, eine Diskussion innerhalb der muslimischen Community zu provozieren und auf die Gefahren von Strömungen wie dem Salafimus aufmerksam zu machen, in Deutschland personifiziert durch Konvertiten wie Sven Lau oder Pierre Vogel. Bei ihren Aktionen orientieren sie sich an der modernen Filmästhetik, die sich auch der IS zunutze macht, um Jugendliche zu erreichen.

Der deutsch-amerikanische Filmemacher Till Schauder porträtiert „12thMemoRise“ aktuell in seiner Dokumentation mit dem bewusst provokativen Titel „Glaubenskrieger“. Thematisch hat sich der Regisseur schon mehrfach mit dem Islam beschäftigt: Bereits 2008 begleitete er einen amerikanischen Basketballspieler während seiner Spielzeit im Iran für seine Doku „The Iran Job“, die nur vordergründig Sportlerporträt ist und darüber hinaus Einblicke in die iranische Gesellschaft im Jahr der Grünen Revolution bietet. In der Doku „Wenn Gott schläft“ geht es um den iranischen Rapper Shahin Najafi, gegen den 2012 wegen eines satirischen Songs eine Fatwa erlassen wurde und der in Deutschland untertauchen musste.

„Glaubenskrieger“, der auf dem Dok.fest in München Premiere feierte und den ARD-Wettbewerb „Top of the Docs“ gewann, illustriert die Aktionen der Gruppe, zeigt aber auch den Alltag sowie die Zweifel, mit denen die jungen AktivistInnen kämpfen und wie sie dabei von den Anschlägen in Paris, Nizza, Brüssel, Berlin, London oder Manchester beeinflusst werden. Bemerkenswert ist, dass es sich bei „12thMemoRise“ nicht um eine Gruppe säkularer, sondern tiefgläubiger MuslimInnen handelt. Hassan, sein Bruder Muhammed, ihr Freund Ahmed und die erst 19-jährige Araik beten regelmäßig, fasten im Ramadan und schließen Sex vor der Ehe für sich aus. Darüber hinaus illustriert sie der Film als junge Menschen, auf der Suche nach dem für sie richtigen Weg und Platz im Leben.

Haydar, Fatma, Ahmed und Hassan von „12thMemoRise“ zu Gast im Filmstudio

Bekannt ist „12thMemoRise“, deren Name bewusst auf die in allen drei monotheistischen Weltreligionen heilige Zahl Zwölf anspielt, vor allem in der muslimischen Community – vielleicht auch berüchtigt. Die deutliche Kritik der Gruppe am Schweigen der islamischen Dachverbände zu Terroranschlägen in Europa wurde als so heftige Provokation empfunden, dass die Mitglieder in manchen muslimischen Kreisen öffentlich diffamiert wurden. Unter Nennung ihrer vollständigen Namen bezeichneten sie deutschsprachige islamische Onlinemedien als „CIA-Agenten“, „Zionisten“, „Spione“ und erklärten sie zu „Abtrünnigen“, die so „zum Abschuss“ freigegeben sind, wie im Film erklärt wird. Privat brechen Freunde den Kontakt ab, auch in der Gemeinde gibt es Streit.

Einige dieser „Abtrünnigen“ sind zur Vorführung von „Glaubenskrieger“ auch im Essener Filmstudio Glückauf vor Ort. In der Diskussion zeigt sich Hassan als redegewandter und sympathischer Wortführer, der alle Fragen geduldig beantwortet, auch die kritischen: „Wie soll man den ganzen Islam reformieren?“ oder „Wie wollt ihr diesen Internethype in eine nachhaltige Bewegung überführen?“ – geht's nicht auch eine Nummer kleiner? Hassan erwidert ruhig: „Den ganzen Islam können wir nicht reformieren. Wir wollen bei Muslimen und Nicht-Muslimen Bewusstsein für Kritik am radikalen Islam schaffen. Wir sind im Durchschnitt 23 Jahre alt, unsere finanziellen Mittel sind begrenzt und dafür haben wir schon viel erreicht.“

Andere Fragen sind konkreter, zum Beispiel die nach den Frauen in der Gruppe, die wie im Film gezeigt aktiv mithelfen, aber an diesem Abend fast gänzlich fehlen. „Wir haben tatsächlich überwiegend männliche Mitglieder. Und die Frauen, die sich bei uns engagieren, rücken wir öffentlich nicht in den Vordergrund, denn die Eltern haben Angst um ihre Töchter, aber auch um ihre Kinder allgemein.“ Die meisten Rückmeldungen aus dem Publikum sind aber positiv, einige bedanken sich für den Mut der AktivistInnen und loben, dass sie durch ihr Engagement eine ganze Generation junger Muslime wieder sprachfähig machten. Andere finden, der Film solle in jeder Moschee gezeigt werden.

Hassan im Gespräch mit Christiane Hüls von den Essener Filmkunsttheatern

Neben den bewusst auf der emotionalen Klaviatur spielenden Videos und Aktionen hat „12thMemoRise“ auch konkrete Wünsche an die Politik. „Ein Islam-Gesetz nach österreichischem Vorbild finde ich nicht verkehrt. Die Politik in Deutschland müsste strenger mit Dachverbänden umgehen, die Finanzhilfe aus dem Ausland stoppen, die Imame sollten in Deutschland ausgebildet werden und die deutsche Sprache auch in Moscheen eine Rolle spielen“, führt Hassan aus. Vor allem aber wünscht er sich mehr Unterstützung aus der muslimischen Community. „Gestern in Münster waren nur drei Muslime da. In Bonn wurde unser Vortrag von der muslimischen Gemeinde dort boykottiert. Außer der schiitischen Gemeinde in Essen unterstützt uns niemand.“ Ein wenig Surfen auf den Kanälen von „12thMemoRise“ bestätigt das. Kritik kommt vor allem von MuslimInnen – sofern Nutzername, Profil und theologische Argumentation das für Laien erkennen lassen. Über die üblichen Drohungen hinaus finden dort aber auch lange, sachliche Diskussionen statt.

Wie es weiter geht, ist ungewiss, aber fertig sind „12thMemoRise“ noch lange nicht. Hassan erklärt: „Noch brutaler können unsere Aktionen zwar nicht werden. Aber wir machen weiter. Für uns zählt die Botschaft, dass jede Form des radikalen Islam kritisiert werden muss.“ Und was wünscht sich Hassan vom nicht-muslimischen Teil der Gesellschaft? „Ich verstehe, dass Nicht-Muslime nach allem, was passiert, skeptisch sind. Ich wünsche mir trotzdem mehr Vertrauen und vielleicht ab und an ein nettes Wort.“

Diesen Brückenschlag greift abschließend auch ein Mann im Publikum auf: „Das Kino hätte voll sein müssen! Da frage ich mich nicht, wo sind die Muslime, sondern schaue auf uns als Gesellschaft. Was ist hier los? Wo sind die alle?“. Auch wenn „12thMemoRise“ besonders die muslimische Community ansprechen wollen, erinnert dieses Statement daran, dass Gewalt, egal im Namen welcher Religion oder Ideologie begangen, uns alle angeht und die Gesellschaft als ganze herausfordert.

Der Film ist aktuell in der ARD-Mediathek zu sehen.

Link zum Facebook-Profil: www.facebook.com/12thmemorise
Link zum YouTube-Channel: www.youtube.com/user/12thmemorise

Text/Fotos: Maxi Braun

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