Wenn ein evangelischer Pfarrer einen Muslim einlädt, um in einer auch profan genutzten Kirche über katholische Bildwelten zu sprechen, ist das ungewöhnlich. Wenn der geladene Gast auch noch Navid Kermani ist, passt dann aber doch alles zusammen.
Schwelgend stellt Pfarrer Arno Lohmann, Leiter der evangelischen Stadtakademie Bochum, den Autor vor: Habilitierter Orientalist, gewürdigt mit zahlreichen Auszeichnungen für sein literarisches und kulturelles Schaffen (zuletzt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels) und Engagement für den interreligiösen und interkulturellen Dialog zwischen Europa und der islamischen Welt.
Mit dem Juristen, Kulturwissenschaftler und Goethe-Kenner Dr. Manfred Osten, der in diplomatischer Mission u.a. in Kamerun und im Tschad und fast eine Dekade als Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung tätig war, steht Kermani ein nicht minder kompetenter Gesprächspartner zur Seite.
Leichtfüßig und unterhaltsam
Unbeeindruckt von diesen Verdiensten entwickelt sich die Lesung leichtfüßig und unterhaltsam. In „Ungläubiges Staunen“ setzt sich Navid Kermani mit christlichen Bildwelten auseinander. Der Ansatz ist kein intellektuell-kunsthistorischer, sondern gründet in der Überwältigung und Faszination angesichts von Meisterwerken christlicher Motivik in der Malerei und Sakralarchitektur.
Vor der mehr als zur Hälfte gefüllten Christuskirche Bochum liest Kermani seine Kapitel zu den Themen Liebe und Lust, während er die dazugehörigen Bilder mittels Beamer zeigt. So, wie er von Farbe und Licht in El Grecos „Abschied Christi von Maria“ schwärmt oder seine Sprach- und Atemlosigkeit vor dem Gerhard Richter-Fenster im Kölner Dom schildert, scheint Liebe der passende Leitfaden.
Doch dabei bleibt es nicht. In El Grecos Werk fällt ihm ein „komisches Schmachten“ auf, das so gar nicht zu der Mutter-Sohn-Beziehung passen will, in Caravaggios „Die Opferung Isaaks“ erkennt er im Vater den „Hausmeister Gottes“ und im Kölner Dom sieht er eher eine Menschenleistung: „Der Dom preist nicht Gott, sondern die Kölner. Ich mag, das, nicht nur als Kölner.“
Die gelesenen Kapitel verraten, wie genussvoll störrisch Kermani in „Ungläubiges Staunen“ seine subjektive Analyse ausbreitet, augenzwinkernd frech, ausdrücklich gegen die kanonische Lesart, aber niemals beleidigend. Dieser Respekt vor der anderen, fremden Religion, macht ihn wie von Manfred Osten angekündigt zu einem „synoptischen Brückenbauer“. Die Christuskirche, vor der am 11.12. der Platz des europäischen Versprechens“ eröffnet wird, ist dafür ein würdiger Ort.
Dabei kann es aber auch an diesem Abend nicht bleiben. Schon lange vor Pegida, Paris und Europas Eintritt in den Krieg gegen den Terror des IS hat der Gottesglaube seine Unschuld verloren. Kermani selbst ist zu wach und kritisch gegenüber seiner eigenen Religion, als dass er dieses Thema meiden würde. Die kurzen Exkurse zwischen den vier vorgetragenen Abschnitten aus seinem Buch streifen auch ernste Themenfelder.
Islam und Islamismus
Da geht es um den Unterscheid zwischen der Theologie und sinnlich erfahrbarer Religiosität, die Körperfeindlichkeit des Christentums und um Islam und Islamismus. Auch hier zeigt sich Kermani als wacher Denker, der mit beiden Welten bis in Details vertraut ist.
Die wörtliche, gewalttätige Auslegung des Korans sei kein Problem der Orthodoxie, sondern eine Reaktion der Muslime auf die Schwäche und Unfähigkeit ihrer religiösen Lehrer, Antworten auf die Herausforderungen der Moderne zu finden. Mehrfach betont Kermani, dass Theologie dazu da wäre, das nicht Erklärbare zu erklären und nicht mit der sinnlich erfahrbaren Religion identisch sei.
Der Koran, so Kermani weiter, sei „ein liturgischer Text“ und kein Text an sich. Die martialische Lesart des Koran durch islamistische Terroristen sei somit auch keine Besinnung auf, sondern der Verlust der Tradition, die die Rezitation der Suren während des Gebets und nicht deren wörtliche Umsetzung fordert. „Es käme ja auch niemand auf die Idee, eine Partitur einfach vorzulesen ohne Musik. Wie die Partitur wird der Koran erst durch Gesang zum Text“, veranschaulicht Kermani. In diesem Kontext erlaubt sich der Optimist eine pessimistische Aussage „Der Glaube, dass Geschichte immer nach vorne geht und sich weiterentwickelt, wurde schon zu oft widerlegt. Ich glaube eher, sie verläuft zyklisch.“
Schlusspointe
Als es um „die ungeübten Knutscher“ in Giottos „Joachim und Anne“ und um Lust als Facette der Liebe geht, schließt die Lesung humorvoll ab. Der Auor beschreibt den ungewöhnlich leidenschaftlichen Kuss des älteren Paares, das das Strohfeuer der Jugendliebe überdauert hat. Lust und Sexualität beschäftigen Kermani. Denn aufgewachsen im protestantischen Siegen nahm er die Protestanten als „gute, aber nicht schöne Menschen“ wahr, bei denen er an „Nächstenliebe, nie an Sex“ dachte. Evangelische Kirchentage beschreibt er als „die unerotischste Veranstaltung“ seines Lebens. Die Begeisterung für alles Wolllüstige habe ihm aber nicht Körperfeindlichkeit des Christentums, sondern erst die allgegenwärtige Pornografie ausgetrieben, wo „alle alles, an allen Orten" treiben.
Nach der Lesung signiert Kermani geduldig, bis keine Exemplare der mitgebrachten Bücher mehr übrig sind. Er schüttelt Hände und nimmt Bekundungen wie „Ich danke Ihnen, gut, dass es sie gibt!“ sichtlich errötend zur Kenntnis. Würden wir wie Kermani dem Fremden, dem jeweils Andern so offen und neugierig begegnen, ohne die Überzeugung, alles besser zu wissen – die Welt wäre eine andere. Der ökumenische Blick und die Horizonterweiterung, wie sie Manfred Osten eingangs ankündigte, sind zumindest an diesem Abend geglückt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
6 String Theory
Lee Ritenour lehrt in Bochum Musikgeschichte – Improvisierte Musik in NRW 07/18
Aufklärer alten Schlages
Robert Menasse mit „Die Hauptstadt“ am 9.5. in der Christuskirche Bochum – Literatur 05/18
Beschwörung des europäischen Geistes
„Quo vadis, Europa“ mit EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am 12.4. in der Christuskirche Bochum
Das Eldorado musikalischen Eigensinns
Die Bochumer Konzertreihe Urban Urtyp setzt auf Sperriges – Popkultur in NRW 12/17
Kanalisierte Wut
AktivistInnen von „12thMemoRise“ zeigen „Glaubenskrieger“ im Filmstudio Glückauf in Essen – Foyer 07/17
Regen zum Saison-Abschluss
Karsten Riedel am 30.4. in der Christuskirche Bochum – Musik 04/17
„Wer im Namen Gottes tötet, ist kein gläubiger Moslem“
Mouhanad Khorchide über einen fortschrittlichen Islam – Spezial 03/17
Emika vereint alles
Emika am 15.1. in der Christuskirche Bochum – Musik 01/17
Laute Mädchen
Konzerte zum Träumen, Mitwippen und in die Luft springen – Popkultur in NRW 01/17
Numinose Bässe und der Soundtrack zum Runterkommen
Urban Urtyp am 25.9. in der Christuskirche Bochum – Musik 09/16
Der Vibe der Stadt, eingefangen im Kubus
Die Festival-Saison ist vorbei, die Urtyp-Saison beginnt – Popkultur in NRW 09/16
Zerstören, was zerstört
Laibach reißen alle Ideologien in der Christuskirche nieder – Musik 04/16
Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
Zwischen Utopie und Ökoterrorismus
Tagung „Klimafiktionen“ in Bochum – Literatur 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Das Über-Du
Auftakt von Literaturdistrikt mit Dietmar Dath und Wolfgang M. Schmitt – 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Literatur in Höchstform
25. LesArt.Festival in Dortmund – Festival 11/24
Schaffenskraft und Schaffenskrise
20. Ausgabe des Festivals Literaturdistrikt in Essen – Festival 11/24