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Guy Dermosessian
Foto: Jan Turek

„Warum entstehen immer noch exklusive Orte?“

06. November 2019

Bochumer DJ Guy Dermosessian über die Clublandschaft im Ruhrgebiet – Über Tage 11/19

trailer: Seit die Industriehallen stillstehen, wurde viel Leerraum bespielt. Wie hast Du diese Zeit als DJ wahrgenommen?

Guy Dermosessian: Bochum war für mich ein Paradies, als ich hier ankam. Es gab viel Leerstand und engagierte Leute, die die Stadt in die Hand genommen haben. Die Kulturpolitik hat diese Dynamik nicht erkannt. Sie hat zwar verschiedene Initiativen unterstützt, aber nach dem Gießkannenprinzip. Dadurch ist viel Energie verloren gegangen. Vor neun Jahren waren die Kreativwirtschaft und ihre Aufwertung bestimmter Immobilien durch Kunst und Kultur nicht so omnipräsent.

Viele verbinden mit der Kreativwirtschaft die Hoffnung auf Wachstum...

Allerdings profitiert die lokale Szene nicht von dieser Dynamik. Die Kreativwirtschaft wächst. Sie hat aber aus meiner Sicht noch keine spürbare Auswirkung auf die Lebensqualität hier.

...weil das Angebot nicht ansprechend ist?

Da kommt es auf die Perspektive an und wen das Angebot adressiert. Ein konkretes Beispiel ist für mich der Tresor West in Dortmund: Ältere, weiße Männer haben es für eine vermeintlich diverse Gruppe junger Menschen als Ort der Clubkultur konzipiert. Die Perspektive der Leute, für die es gedacht war, wurde nicht mit einbezogen.

Brauchen wir eine demokratische Kulturpolitik?

Ja, auch inhaltlich. Während der Planung des Musikforums, habe ich dem ehemaligen Kulturdezernenten eine Mail geschrieben. Ich war super jung und so frustriert, dass mitten in der Stadt ein eindimensionaler Ort für viel Geld entsteht. Daher schlug ich vor: „Richtet doch einen Club ein! Da ist die Investition im Rahmen solch einer Baumaßnahme nicht so groß, dafür allerdings der langfristige Effekt. Das konkurriert nicht mit klassischer Musik – ganz im Gegenteil: Dadurch entsteht ein Ort der Begegnung.“ Das wurde einfach ignoriert. Es ist brutal, dass solche Chancen vertan werden. Nur weil bestimmte Entscheidungen in den Händen von Personen liegen, die den Kontakt zur Mehrheit der Gesellschaft komplett verloren haben. Auch ich kann mit meinen 34 Jahren nicht mehr formulieren, was etwa eine junge Subkultur benötigt. Ich müsste auch nachfragen.

Musstest Du dich mit deinem Musikstil durchsetzen?

Angefangen habe ich mit elektronischer Musik. Mit der Zeit wollte ich andere Stile mit einbauen. Dadurch dass ich aus Beirut komme, war ich der arabischen Musik verbunden. Beim Versuch, das zusammenzubringen, kam es zu einem einschneidenden Erlebnis: In einem Club in Hessen wurde ich darauf hingewiesen, dass es kein Soziales Zentrum sei. Bei mir hat das die Frage aufgeworfen, ob die Clubkultur, die sich als offen und inklusiv versteht, nicht auch einer gewissen eurozentrischen Codierung und einem Machtgefälle unterliegt. Das stärkte meine Entscheidung, nichts anderes mehr zu spielen und den Club als Ort der Repräsentation marginalisierter Musik und Kulturen zu nutzen.

Gilt das auch für die Schaffung von Öffentlichkeit?

Eher für die Demokratisierung öffentlicher Institutionen. Diese sollten erkennen, dass es andere Formen der sinnlichen Erfahrungen als die etablierten und teils tradierten gibt. Weg vom Gedanken der Monokultur, hin zu einer Sensibilität für die Diversität und ihren Mikrobewegungen hier und da. Das sehe ich in der Musik, im Tanz, in den darstellenden und bildenden Künsten, aber nur selten in öffentlichen Institutionen.

Viele fühlen sich in dieser Region abgehängt. Welche Chance sieht hier ein DJ, der mit vollen Plattentaschen durch Europa reist?

Die größte Chance ist die gesellschaftliche Vielfalt, die im Ruhrgebiet oft mit der Industrialisierung in Verbindung gebracht wird. Das ist ein unglaublicher Schatz an Erfahrungen, Perspektiven und Zukunftsvisionen. Das vermisse ich hier, wenn ich sehe, dass sehr viele Institutionen noch immer homogen geführt werden. Migration ist dabei nur eine Dimension. Die Verschiedenheit verschiedener Personen werden kaum berücksichtigt. Daher gibt es ein Wissens- und Erfahrungsvakuum in unseren Institutionen. Wie kann es sein, dass diese Chancen nicht wahrgenommen werden? Warum entstehen immer noch exklusive Orte von und für eine kleine Gruppe?

Wie kann ein DJ da einen Wandel anstoßen?

Clubkultur ist in ihrer Tradition ein Akt der Vergemeinschaftung und des Widerstandes. Da besteht der Wunsch, zusammenzukommen. Der Schumacher Club und die Oval Office Bar in Bochum sind für mich gute Beispiele für Orte der Clubkultur, die neue gesellschaftliche und politische Utopien aufwerfen und in der Clubkultur leben. Der oder die DJ sind ein Bestandteil davon.

INTERVIEW: Benjamin Trilling

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