trailer: Hennes Bender, zum Kabarett des Ruhrdeutschen gehören Namen wie Wilhelm Herbert Koch, Herbert Knebel oder Adolf Tegtmeier. Wie wichtig ist diese Tradition für dein eigenes Schaffen?
Erst mal finde ich es wichtig, seine Herkunft nicht zu verneinen. Aber ich sehe mich nicht als Ruhrpott-Komiker. Das kam später hinzu und ist auch kein Alleinstellungsmerkmal von mir. Es hat vielmehr eine Selbstverständlichkeit: Ich komme daher und spreche einfach so, ohne es künstlich zu kultivieren.
Diese Sprache des Potts kultivierten eben zunächst Koch, von Manger oder Knebel.
Als Kind wollte ich immer Platten von Otto Waalkes, Mike Krüger oder Didi Hallervorden haben. Das ganze Ruhrgebietszeug hat mich nicht so interessiert. Mein Vater schenkte mir damals eine Tegtmeier-Platte, aber das fand ich ziemlich doof damals. Irgendwann kam Hape Kerkeling, der zwar kein ausgewiesener Ruhrpott-Komiker ist, aber einen gewissen Ton getroffen hat, den der normalen Menschen. Denn wenn man sich Jürgen von Manger genau anhört, spürt man eine künstliche Überhöhung, das kommt nicht wirklich aus der Region. Es wurde oft gesagt, Herbert Knebel wäre der Erbe von Tegtmeier. Tatsächlich gibt es keinen, der den „homosruhrgebieticon“ erst so authentisch verkörperte wie Herbert Knebel, vor allem durch seine Sprache. Darum ging es mir auch in den Asterix-Comics: dass ich schreibe, wie gesprochen wird. Das möchte ich in der ganzen grammatikalischen Inkorrektheit verschriftlichen. Weil dieser Dialekt bedeutet nicht nur "fehlende Bildung", er ist auch Kultur: als eine direkte und knappe Sprache, die aus der Arbeitswelt stammt, vor allem aus dem Bergbau. Zwar gibt es diese Arbeitswelt nicht mehr, aber sie blieb Teil unserer Kultur.
Du hast schon die erfolgreichen Asterix-Bände erwähnt. Dabei erschien das Ruhrdeutsche im Gegensatz zum Berlinerischen als eher provinziell. Woher rührt dieser Boom?
Das Ruhrgebiet wird immer unterschätzt, selbst nach dem Kulturhauptstadtjahr. Zugleich nehmen wir uns hier auch nicht allzu wichtig. Das müssen wir ein bisschen lernen. Das Asterix-Projekt passt daher wie „Arsch auf Eimer“: Wir sind dieses aufmüpfige Dorf, das besetzt und von allen Seiten umlagert wird. Wir Ruhrgebietsmenschen sind kleine Gallier, die aus Düsseldorf, Münster und Arnsberg regiert werden. Regierungsbezirksmäßig haben wir wenig Selbstbestimmung, aber wir wehren uns die ganze Zeit. Wir sind aufmüpfig, frech und einfallsreich. Ich war bei diesen Asterix-Comics jedoch nur der Sprechblasenfüller, die Vorlage kam von René Goscinny. Er schrieb diese Weltliteratur. Für mich ist es eine glückliche Fügung, dass diese Vorlage zum Ruhrgebiet passt.
Ist der Humor in „Dingenskirchen“ auch Verarbeitung von Arbeitsplatzverlusten?
Richtig. Humor ist immer wichtig als Traumabewältigung – auch, um sich wieder zu erden und zu verorten, wo man nun steht.
Dein Vater war im Opel-Werk tätig. Wie hast Du vor diesem biographischen Hintergrund den Strukturwandel erlebt?
Meine Eltern zogen aus Rüsselsheim nach Bochum, weil das hiesige Opel-Werk Arbeitskräfte benötigte. Ich wurde in Bochum geboren, wuchs dort auf und meine Eltern zogen schließlich wieder zurück nach Rüsselsheim. Aber in den Schul- und Semesterferien habe ich auch bei Opel am Band gearbeitet. Als mein Vater 1988 in Pension ging, ahnte er bereits, dass es nicht mehr lange gut geht mit Opel. Ich nahm es auch als sehr persönlich wahr, als sich die Schließung abzeichnete.
Sind diese einschneidenden Werk-Schließungen der letzten Jahre auch ein Grund für die zahlreichen Comedians aus der Region, oder hast Du eine bessere Erklärung dafür?
Es liegt daran, dass hier sehr viele Menschen wohnen. Es gibt im Ruhrgebiet auch mehr Schornsteinfeger als in Mecklenburg-Vorpommern. Wir sind ein Ballungsgebiet, was wir dabei allerdings nicht vergessen dürfen: Das Ruhrgebiet an sich existiert ja gar nicht. Es gibt zwar z.B. Menschen in Moers, die sich zum Ruhrgebiet zugehörig fühlen. Es gibt aber auch Duisburger, die sich dann wieder zum Niederrhein zählen. Wir sind ein Melting Point aus Rheinländern, Westfalen und Leuten aus dem Niederrhein oder dem Bergischen Land. Das ist also eine Identitätsfrage. Das hast Du in anderen Gegenden Deutschlands nicht in dieser Form, das ist das Geile an der Region. Dadurch entsteht eine andere Form der Kommunikation und Sprachkultur. Das zeichnet uns aus und auch deswegen gibt es bei uns so viele Komiker.
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