trailer: Schlakks, Du bespielst in vielen Konzerten den lokalen öffentlichen Raum. Welches Potential steckt im Ruhrgebiet für eine Subkultur, wie man sie z.B. aus Berlin kennt?
Schlakks: Das Potential muss von städtischer Seite wahrgenommen werden. Gleichzeitig muss man realistisch bleiben und sehen, dass insgesamt noch eine gewisse Trägheit da ist. Mich langweilt es zu Tode, dass das Marketing im Ruhrgebiet sich nur mit Fußball und Bier beschäftigt. Es ist ein Versäumnis, sich nach außen so unkreativ darzustellen. Die Metropole Ruhr wird zwar als Marke hochgehalten. Aber in der Realität ist die Grenzziehung zwischen den Städten sehr stark. So ließe sich durch tiefergehende Netzwerkarbeit erfragen: Wie sähe eine wirkliche Ruhr-Metropole aus? Und klar: mehr Festivals, mehr Locations. Dafür fehlt ein Bewusstsein.
Das Coverfoto deines aktuellen Albums wurde am Hafen gemacht, der nun zum Start-Up-Campus und zur Promenade umgekrempelt wird. Wie schätzt Du diese Entwicklung mit teuren Prestigeprojekten ein: schicke Location oder Gentrifizierungsfalle?
Das ist das große Dilemma als Kunstschaffender: Man steckt unweigerlich in diesem Prozess aus Aufwertung und Verdrängung, der in Dortmund noch in den Kinderschuhen steckt – auch wenn die Mieten steigen. Doch man kann sich dieses Thema als Künstler nicht komplett selbst ankreiden. Denn dass etwa der Hafen aufgehübscht wird, ist eine Sache, die weder die Kunstschaffenden, noch die Stadtbevölkerung wollten. Das wurde vielmehr von Externen oktroyiert, und steckt in der Hand der Lokalpolitik. Man muss jedoch vorsichtig und sich dessen bewusst sein: Sobald man kulturell wirkt, verstrickt man sich in solchen Widersprüchen.
Um den öffentlichen Raum geht es auch im aktuellen Album: Der Song „Komische Geschichte“ kritisiert Statuen und Straßen, die Namen von Kolonialisten und Militaristen tragen.
Ja, das hat mich schon immer befremdet. Es ist höchste Zeit für eine andere Erzählung von Weltgeschichte, gerade auch im Stadtraum. In der Schule ist der Kolonialismus völlig unterrepräsentiert. Man ist sogar in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass sich Deutschland aus den Kolonien raushielt. Wir leben in einer rassistischen, kolonialistischen Gesellschaft. Dementsprechend muss eine Auseinandersetzung mit dieser Geschichte stattfinden.
Dabei siehst Du dich nicht als explizit politischen Rapper.
Trotz den Zuschreibungen sehe ich mich nicht so, ich verfolge keine politische Agenda. Es wirkt zwangsläufig politisch, wenn ich mich mit Missständen befasse, mit Sachen, die mich irritieren, z.B. im Song „Kein politisches Lied“. Darin geht es um den Begriff Antifaschismus, der als linksextrem eingeordnet wird, was mir skurril erscheint: Jeder vernünftige Mensch auf der Welt sollte Antifaschist sein.
Was sich jedoch auch im linken HipHop beobachten lässt, ist eine toxische Männlichkeit, die Du im Song „Wir müssen drüber reden“ thematisierst. Wie lässt sich denn Rap bewerkstelligen, ohne einen Maskulinismus zu reproduzieren?
Eigentlich ist das gar nicht so schwer, weil man sich einfach von dieser sexistischen Scheiße fernhalten kann. Es beinhalt jedoch nicht nur den Text, sondern auch die Art und Weise, wie man sich auf der Bühne präsentiert. Rap ist auch eine Art der Selbstpräsentation und kann entsprechend toxische Männlichkeit ausstrahlen. Daher gilt es zu überprüfen, wie man sich bewegt oder den Text spricht. In dieser Hinsicht bin ich jedoch selbst nicht frei von Widersprüchen, da gibt es sicherlich viele Verhaltensweisen, die mir selbst nicht bewusst sind.
Eine Ikone der toxischen Männlichkeit prägt auch die Identität des Ruhrgebiets: der Bergmann. Wie sehr spielt da die regionale Vergangenheit eine Rolle?
Sobald die Dinge vorbei sind, werden sie schnell romantisch und nostalgisch verklärt. Diese Arbeit unter Tage war prekär, teilweise tödlich. Damals wurde diese Tätigkeit gesellschaftlich nicht so wertgeschätzt, wie heute, da sie vorbei ist. In dieser Hinsicht sollten wir definitiv auch die Frage nach der toxischen Männlichkeit beachten: Wir sprechen immer von der männlichen Bergbaukultur, aber was war denn in dieser Zeit mit den Frauen? Darüber hört man bis auf Randnotizen wenig. Es ist also ein sehr einseitiges Bild, das in den letzten Jahren kultiviert wurde: als ehrliche Arbeit, auf die man stolz sein konnte. Es ist komplexer. Für das Ruhrgebiet ist es an der Zeit, sich diverser zu präsentieren.
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