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Sofia Mellino
Foto: Fatih Kurceren

„Die Transformation liegt hier in der Luft“

03. Oktober 2022

Sofia Mellino über ihren Film „Future Ruhr“ – Über Tage 10/22

trailer: Frau Mellino, was zieht eine preisgekrönte Videokünstlerin aus Buenos Aires ins Ruhrgebiet?

Sofia Mellino: Ich hatte zunächst die Chance, hier als internationaler Gast für eine Woche an Projekten zu arbeiten. Und als ich hier ankam, verliebte ich mich sofort in diese Region, und zwar wegen den Menschen. Sie leben hier sehr geschlossen, sodass man sich schnell zuhause fühlt. Ich lebte z.B. mal in London und hasste es. Als ich dann ins Ruhrgebiet kam, wollte ich hier hinziehen und für immer bleiben. Denn woraus bestehen Städte? Sie können dir Raum zur Verfügung stellen, aber dabei geht es doch nicht um Gebäude und Verkehr, sondern um die Menschen selbst. Dadurch habe ich hier bessere Chancen, kreativ zu sein, als in einer City wie London.

Deswegen ist es im Ruhrgebiet vorteilhafter, kreativ zu sein, als in London?

Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, gebe ich ein perfektes Beispiel. In London sagte ich ständig: „Sorry!“ Im Ruhrgebiet sage ich dagegen immer: „Danke!“ Hier sieht man ein Lächeln im Gesicht der Leute. Und wenn ich was vorschlage, nehme ich Reaktionen wahr. Ich sehe da also eine Ehrlichkeit und Direktheit, die vielleicht noch auf die Bergbaukultur zurückgeht.

Doch wie sieht es in einer über Jahrzehnte industriell geprägten Region mit der Infrastruktur für Kunst- und Medienprojekte aus?

Genau deswegen gibt es hier mehr Gelegenheiten für solche Projekte: Spätestens seit den 90er Jahren vollzieht sich hier eine Transformation. Es entstand eine Kreativkultur bzw. Kreativindustrie. Diesen Wandel wollte ich in meinem letzten Film „Future Ruhr“ zeigen, der zugleich von seiner Entstehung her eine Antwort auf diesen Strukturwandel ist: als innovativer Mix aus Kunst und Technologie. Die Leute sollen auch einen Zugang zu dieser Innovation haben. Gerade dadurch, dass ich hier im Ruhrgebiet lebe und mich mit den Menschen hier vernetzte, konnte ich genau diesen Film realisieren. In Berlin wäre es mir nicht möglich gewesen. Denn über die Hauptstadt gibt es bereits so viele ähnliche Filme. Aber im Ruhrgebiet liegt die Transformation in der Luft. Diesen Wandel wollte ich künstlerisch einfangen.

Ihr Film rast förmlich durch den Strukturwandel, angefangen bei einer spektakulären Sequenz von „unter Tage“…

Genau, wir begannen mit den Szenen aus dem Bergbaumuseum, dann verlassen wir diesen Schacht. Bevor anschließend die Kokerei Prosper in Bottrop zu sehen ist. Damit wollten wir zunächst die Zeit der harten Industrie visualisieren: etwa mit diesem Feuer, das in der Kokerei zu sehen ist. Es ist zwar vorbei. Aber wir wollten diese industrielle Ära berücksichtigen. Zugleich wollten wir darstellen, dass diese Industrie und der Bergbau nicht mehr das Herz dieser Region sind. Deswegen sehen die Zuschauer kurz darauf Menschen, die Street-Dance oder Artistisches mit dem BMX-Rad betreiben. Man sieht also, wie Leute herumspringen oder expressiv den Körper bewegen. Mit alle diesen Bewegungen wollte ich die Energie der Zukunft darstellen.

Filmstill aus „Future Ruhr“ von Sofia Mellino, © Future Campus Ruhr

Viele Filmszenen zelebrieren auch die grünen Ecken des Ruhrgebiets.

Ja. Gerade Essen entwickelte sich zu einer der grünsten Städte Europas. Um das mal anhand einer Anekdote zu erläutern. Als ich mit meinen Recherchen begann, las ich Folgendes: Alfred Krupp habe es bevorzugt, neben einem Pferdestall zu arbeiten, da er den Geruch mochte. Warum? Weil in der Hochphase der Industrie die gesamte Luft verstaubt und verschmutzt war. Man konnte nicht atmen. Für ihn bedeutete der Pferdestallgeruch also frische Luft. Mittlerweile gibt es wieder grüne Ecken oder Parks. Davon bin ich selbst umgeben, obwohl ich in der Nähe der Essener City wohne.

Dabei adaptieren Sie im Film eigentlich die „Urban Symphony“, ein Genre, das bekannt wurde durch Walter Ruttmanns „Berlin. Symphony einer Großstadt“. Sein Film dokumentierte in den 1920er Jahren einen Moloch aus Verkehr, Schnelligkeit und Gleichzeitigkeit. Wie lässt sich dies mit einem Fokus auf die Renaturalisierung verbinden?

Dieses Format der Urban Symphony hängt davon ab, welche Geschichte man erzählen will. Damals ging es um die Entstehung des modernen Großstadtlebens. Aber das Storytelling korrespondiert mit der dargestellten Region. Es geht also immer auch um den Geist der jeweiligen Orte. Die Urban Symphony beinhalte zwar einige Regeln, aber die Idee hinter diesem Genre ist experimentell. Man kann dieses Format also umsetzen, wie man will. Die Technologie und die Ausdrucksmöglichkeiten haben sich geändert. Vor diesem Hintergrund muss dieses Genre adaptiert werden.

Benjamin Trilling

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