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Foto: Jan Turek

„Kultur wird im Ruhrgebiet nur von der Außenwirkung her gedacht“

20. Dezember 2019

„Kassierer“-Sänger Wolfgang Wendland über Kultur und Zukunft an der Ruhr – Über Tage 01/20



trailer: Im Januar steht das zehnjährige Jubiläum von „Ruhr 2010“ an. Ist das mittlerweile ein Grund zu feiern oder erinnerst Du dich eher an die Demo, die du damals angemeldet hast?

Wolfgang Wendland: Ich erinnere mich sogar an diese Demo. Es war gegen die „widerliche Unverfrorenheit der Bewerbung Bochums zur Kulturhauptstadt Europas“. So was wollten wir machen.

Was spricht gegen die Kulturhauptstadt?

Es müsste ja irgendetwas an Substanz da sein, was man machen konnte. Und wenn man jetzt zurückblickt, ist da abgesehen von den Toten bei der Loveparade nicht viel übrig geblieben – höchstens Kosten. Dieses Konzerthaus in Bochum ist ja z.B. gar nicht rechtzeitig fertig geworden und belastet den Haushalt.  Bochum wäre schon aus den Schulden heraus, wenn das nicht gebaut worden wäre. Es ist nicht nachhaltig finanziert. Insofern ist nicht viel übrig geblieben.

Beeindrucken dich denn gar nicht Leuchtturmprojekte wie die Zeche Zollverein oder das Dortmunder U?

Nein. Das ist genau das Problem. Das hat mich ja damals aufgeregt, dass Kultur im Ruhrgebiet immer nur von der Außenwirkung her gedacht wird, für irgendwelche imaginären Ruhrgebietstouristen. Es gibt keine kulturellen Szenen für die Bevölkerung, die nach außen strahlen. Meistens sind das Dinge, wo die Bevölkerung herzlich wenig von hat – wie diese Millionen für einen Förderturm, den man als Wahrzeichen hat. Gleichzeitig fehlen an der Basis kulturelle Einrichtungen. Es gibt nicht den Laden, ein selbstverwaltetes Jugendzentrum oder irgendetwas, wo etwa eine junge Band auftreten kann. Das gibt es alles nicht.

Du hast dich selbst als Bürgermeister beworben. Was hättest Du besser gemacht?

Im Vorfeld der Kulturhauptstadt 2010 hatte ich eine Initiative gegründet, die ein Kulturzentrum für Wattenscheid forderte.

Deine Vita entspricht keiner üblichen Politiklaufbahn: damals Anarchistische Pogo-Partei-Deutschlands (APPD), heute SPD. Wie hat sich das überhaupt ergeben?

Ich hatte in den 90ern, als es noch die Einrichtung „Kulturladen Wattenscheid“ gab, eine Initiative gegründet, die mehr Geld für die freie Kulturszene forderte. Dabei habe ich mich mit der Kommunalpolitik auseinandergesetzt. Die damalige Initiative hat aber nicht viel gebracht. Letztendlich wurde dieser Kulturladen geschlossen, was ich schade finde. In einem Ortsteil, der 70.000 Einwohner hat, fehlt so was.

Was mich aber dann überrascht hat, war dein Eintritt in die SPD Ende 2018. Diese Partei ist ja für den von Dir beklagten Sozialkahlschlag mitverantwortlich.

Gut. Mein OB-Wahlkampf war ja tendenziell eher gegen die SPD.  Seitdem hat sich politisch viel getan. Mit dem Aufkommen der AfD läuft die Politik Gefahr, zwischen den beiden Parteien AfD und den Grünen aufgerieben und insgesamt sehr irrational zu werden. Da habe ich die Hoffnung, dass die SPD als rationale Kraft noch dazwischen ist. Die Gesamtsituation ist auch nicht mehr so wie zu APPD-Zeiten, als es langweilig und egal war, wer gewählt wird. Jetzt kann je nach Wahl eine deutliche Änderung der Politik eintreten.

Gilt das auch im Musikgeschäft? Immerhin sind Interpreten wie Andreas Gabalier oder sogar ein offen faschistischer Rapper wie Chris Ares ziemlich erfolgreich

Wir positionieren uns ja schon sehr eindeutig. Aber es ist nicht plakativ. Dem Gesamtwerk merkt man das schon an, wo wir stehen. Aber ich bin kein Fan von durchgestrichenen Hakenkreuzen auf dem Cover oder von Veranstaltungen gegen Rechts, wo ohnehin alle die gleiche Meinung haben und sich treffen, um zu sagen, dass sie dagegen sind. Das bringt die Welt nicht unbedingt weiter.

Mit 30 Semestern in unterschiedlichsten Fächern auf dem Buckel giltst Du als einer der letzten Universalgelehrten im Pott. Und viele fragen sich: Wo liegt die Zukunft des Ruhrgebiets?

Es wird irgendetwas nach Kohle und Stahl kommen. Aber nicht im Ruhrgebiet.

Also: „No Future“?

Man müsste vielleicht der Theorie nachgehen, dass da, wo Bergbau war, nie was anderes entsteht. Die Leute sind über Generationen zu sehr gewohnt, dass ihnen der Reichtum quasi aus der Erde entgegen quillt. Ein Strukturwandel gelingt eher in Regionen wie Baden-Württemberg, also von der Kuckucksuhr, über den Plattenspieler bis hin zu moderner Datenverarbeitung. Im Ruhrgebiet läuft es jedoch Gefahr, sich zu einer Art Geisterstadt wie in den USA zu entwickeln, nachdem man Gold abgebaut hat. Dieses schwarze Gold hat vielleicht eine ähnliche unheilige Wirkung, dass darüber hinaus nichts mehr entsteht.

Interview: Benjamin Trilling

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