Essen, 3.2. – Bis auf den letzten Platz ausverkauft war das Filmstudio, als David Sieveking seinen aktuellen Dokumentarfilm persönlich vorstellte. „Vergiss mein nicht“ ist ein intimes Familien-Porträt, hauptsächlich über Sievekings Mutter, die in den letzten Jahren ihres Lebens -an Alzheimer erkrankt- ihr Gedächtnis verliert. So sympathisch wie als Protagonist in seinem eigenen Film, begegnete David Sieveking den Zuschauern. Allen voran einer Dame, die sich sichtlich bewegt nach dem Film fragt, ob sie selbst beim Sterben eine solch rückhaltlose Hilfe in ihrer Familie finden wird. Der Film solle nicht verstanden werden als Ideal-Vorschlag, meint Sieveking, sondern man darf in dieser schwierigen Situation alles ausprobieren und dabei auch Fehler machen.
Vier Jahre vor Drehbeginn waren die ersten Gedächtnisprobleme bei seiner Mutter aufgetaucht. Und der Sohn David Sieveking stellt einleitend im Film fest: „Während meine Mutter ihr Gedächtnis verliert, wird mir klar, wie wenig über sie weiß.“ Und als Gretel Sieveking schon nicht mehr erkennt, wer ihr Mann und wer ihn Sohn ist und wo sie überhaupt wohnt, gräbt der Regisseur in ihrer Vergangenheit. Zusammen mit Gretel und auch allein besucht er Weggefährten, die einst für sie wichtig waren, er durchforstet Archive, die über ihr linksradikales Engagement in der Studentenbewegung Auskunft geben, es gibt Aufnahmen von Gretel als Fernseh-Moderatorin, Fotos von einem erfüllten, spannenden Leben, die in hartem Kontrast stehen zu ihrer völligen Verwirrtheit in der Gegenwart. Der mentale Verfall der Mutter und gleichsam seine Recherche rufen in der Familie existenzielle Fragen auf den Plan und führen zu einem neuen Umgang miteinander. Die Familien-Mitglieder sprechen sehr offen in diesem Film. „Die Mutter, die ich von früher kannte, gibt es nicht mehr, aber ihr Zustand hat die Familie näher zusammen gebracht.“, resümiert Sieveking. Und da der Film seiner Mutter die Würde lässt, hätten die Anfangs kritischen Geschwister dem fertigen Film ihren Segen gegeben.
Seitdem „Vergiss mein nicht“ auf Festivals weltweit und nun in den deutschen Kinos tourt, habe er viele Menschen getroffen, und die Rückmeldung sei wie eine Welle der Liebe. Er glaubt, dass seine Mutter stolz und glücklich wäre, dass etwas Lebendiges entstanden ist aus dieser traurigen Geschichte. Da das Credo seiner Mutter immer gewesen sei: „Wir haben keine Geheimnisse“, meint er, dass sie mit dem Film einverstanden gewesen wäre. Als im Publikum die Frage nach aktiver Sterbehilfe aufgeworfen wird, erzählt Sieveking, dass es nicht einfach gewesen sei, die Mutter vor dem Sterben aus dem Krankenhaus-Apparat heim zu holen, damit sie im Kreis ihrer Familie die letzten Wochen verbringen konnte. Deutschland sei in der Palliativmedizin ein Entwicklungsland. Es wird von unterlassener Hilfeleistung gesprochen, was Sieveking überhaupt nicht angebracht findet, wenn man sich das mit gesundem Menschenverstand ansieht.
In dem gleichnamigen Buch hat David Sieveking das Thema weiter ausgeführt, und zahlreiche der engagiert diskutierenden ZuschauerInnen nahmen das Angebot zu einer Autogramm-Stunde mit weiteren Gesprächen dankend an.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Held wider Willen
Abschluss der CineScience-Reihe „Helden im Film“ zum Thema Antihelden am 13.2. im Filmstudio – Foyer 02/18
Von Halsbandsittichen und Wasserratten
Stranger Than Fiction in der Filmpalette – Foyer 01/16
Kuppelei 2.0
Lia Jaspers zeigte im Filmstudio Glückauf ihre Dokumentation „Match Me!“ – Foyer 01/16
Alle gegen Sharon Stones Schamhaar
„Scandalize me!” am 19.1. im Filmstudio Glückauf – Foyer 01/16
Nachdenken über Jugendkriminalität
„Das Ende der Geduld" am 21.1. im Filmstudio Glückauf in Essen
Der Homo sapiens auf dem Baum
„La Sombra del Sol“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 06/14
90 Jahre Kino und mehr
Essener Filmstudio Glückauf feierte 90jähriges Bestehen – Kino.Ruhr 03/14
Persönliche Dokumentation
„Meine keine Familie“ im Essener Filmstudio – Foyer 12/13
Musik statt Bürokratie
"Can’t Be Silent" im Filmstudio Essen – Foyer 09/13
Buddhismus im Kino
"Auf der Suche nach dem alten Tibet!" im Filmstudio Essen – Foyer 07/13
Wissenschaft und Kino
"CineScience im Filmstudio Essen - Foyer 10/12
The European Dream
"Der europäische Traum und seine Grenzen" im Filmstudio Essen - Foyer 09/12
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Sieben Spitzenprämien-Gewinner
Kinoprogrammpreis-Verleihung in der Wolkenburg – Foyer 11/23
Verfilmung eines Bestsellerromans
„Die Mittagsfrau“ im Casablanca Bochum – Foyer 10/23
Mysteriöses auf schottischem Landsitz
„Der Pfau“ im Cinedom – Foyer 03/23
Alle Farben der Welt
37. Teddy-Award-Verleihung bei der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23