Die Nui Chua Stabschrecke stakst über Anna Bressers Hand. Das fingerlange Insekt erinnert an feines Geäst. Es ist ein Weibchen, an dessen Rücken sich ein halb so großes Männchen klammert. Das wird sein restliches Leben dort verbringen, nur nach einer Häutung von der abgestreiften Haut wieder zum Weibchen wechseln.
Die Stabschrecken leben in einem Terrarium in der Zooschule der Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen. Hier bringt Anna Bresser Kindern und Jugendlichen Tiere nahe, die befremden können – etwa auch Bartagamen oder Chinesische Rotbauchunken „Berührungsängste weichen aber schnell der Faszination“, sagt sie. Bresser hat Biologie und Sozialpädagogik studiert, entschied sich erst für den kurativen Bereich in einem Zoo, vermisste es aber, Wissen zu vermitteln. Seit drei Jahren ist sie Zoopädagogin in der Zoom Erlebniswelt. Hier leben in den Themenwelten Alaska, Afrika und Asien nebst einem „Bauernhof“ rund 900 Tiere aus über 100 Arten. „Man schützt nur, was man kennt“, fährt Bresser fort, „klingt wie eine Phrase, ist es aber nicht“. Menschen Natur nahezubringen, sei darum unverzichtbar. Dafür brauche es keine exotischen Tiere, räumt sie ein, eine Wiese hinterm Haus genüge. Aber das eine schließe das andere ja nicht aus.
Befremden und faszinieren
Die Nui Chua Stabschrecke wurde erst im Jahr 2018 wissenschaftlich beschrieben, als neue Gattung erkannt und nach dem Nationalpark an Vietnams Küste benannt. Sie ist eine der „Flaggschiffarten“, mit denen der europäische Zooverband EAZA in seiner Artenschutzkampagne „Vietnamazing“ den Wert von Vietnams Naturwelt veranschaulicht, über nachhaltigen Tourismus aufklärt und für Schutzprojekte wirbt. Die Zoom Erlebniswelt nimmt an der Kampagne teil.
Der Vietnamkrieg setzt auch der Natur des Landes bis heute zu, hat entwaldete Flächen und vergiftete Böden hinterlassen. Abholzung, illegaler Tierhandel und Wilderei dauern an.Ob die Nui Chua Stabschrecke eine gefährdete Art ist, sei noch unklar, so Bresser. Es sei aber wahrscheinlich, da sie vermutlich nur in einem sehr kleinen Gebiet im Nationalpark überhaupt vorkomme. Der Aufbau einer „Reservepopulation“ in Menschenhand sei darum ratsam, die Vermehrung der pflanzenfressenden Insekten gelinge leicht. Den Vietnamfasan, eine weitere Vietnamazing-Flaggschiffart, listet die Weltnaturschutzunion IUCN als „vom Aussterben bedroht“. In der dichten Vegetation der begehbaren Zoom-Tropenhalle lebt ein Pärchen des hühnerartigen Vogels. Derzeit zieht es vier Küken auf.
Von wegen Schädlinge
Einer einheimischen Tierart widmet sich der Zoo seit November erstmals: dem Europäischen Feldhamster. Zwei Weibchen und ein Männchen leben hinter den Kulissen, fern von möglichem Publikumsstress. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Feldhamster millionenfach erlegt, als vermeintliche Schädlinge und wegen ihres Pelzes. „Dabei durchwühlen sie den Boden, er bleibt durchlässig, kann Nährstoffe aufnehmen“, erklärt Anna Bresser. Heute sind sie fast ausgestorben. In Monokulturen finden sie kaum Nahrung, vorgezogene Ernten rauben die Deckung vor Fressfeinden, moderne Landwirtschaft stresst die Lössböden, in denen sie leben. Aus dem Winterschlaf erwacht, wurden die drei Hamster behutsam aneinander gewöhnt, es sind Einzelgänger. Es kam zur ersten Paarung – ob erfolgreich, zeigt sich bald. Nachwuchs soll in Kooperation mit der AG Feldhamsterschutz Niedersachsen in die Natur entlassen werden.
Eine spielerische Tafel in der Tropenhalle führt zum „gefährlichsten Tier der Welt“: dem Menschen, der wissentlich die eigene Lebensgrundlage zerstöre. Es ist wohl kein Zufall, dass die Mahnung zuweilen unter den ernst wirkenden Blicken der benachbarten Orang-Utans erfolgt.
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