Das Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt beherbergt Bibliothek samt Archiv: etwa 50.000 Bände Literatur über Arbeit, Forschungsliteratur sowie Vor- und Nachlässe von Schriftsteller*innen und Literaturgruppen lagern dort, sowie Mediensammlungen rund um die Kultur der Arbeitswelt. Nicht nur die Industrie- und Bergbaugeschichte des Ruhrgebiets wird hier in Form von kulturellen Zeugnissen aufbewahrt, sondern der deutschsprachige und internationale Raum wird in den Blick der Forschung genommen. Fritz Hüser, Begründer der Sammlung, war selbst Stahlarbeiter, bevor er zum Bibliothekar umschulte und nach 1945 der Direktor der Dortmunder Bibliotheken wurde. Lag der Fokus anfänglich auf der „klassischen“ Literatur der Arbeiter*innen, öffnete sich die Ausrichtung später auch für „soziale Literatur“, die auch Themen jenseits der industrialisierten Arbeit verhandelt. Mit den großen Zechenschließungen 1968 beginnt eine umwälzende Veränderung: der Strukturwandel. Auch das Fritz-Hüser-Institut öffnet seine Themenbereiche, die Sammlung wird unter anderem ergänzt durch Bauernlieder, aber auch durch Angestelltenromane, beschreibt Iuditha Balint, Direktorin des FHI, den umfangreichen Fundus des Instituts.
Digital und auf der Straße
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt ein weiteres Mal. Und stellt diejenigen, die sich mit Wert und Idee der Arbeit beschäftigen, vor neue Fragen: die nach Entgrenzung, Entfremdung unter neuen Voraussetzungen und die nach den (neuen) Möglichkeiten von Interessenvertretung. Die digitalisierte Welt habe für die Vernetzung sowohl Vor- und Nachteile, erklären Iuditha Balint und Arnold Maxwill, wissenschaftlicher Mitarbeiter. Einerseits führe sie zu Singularisierung, die Herausbildung von Solidarität werde gekappt durch Vereinzelung, andererseits ist die Gewerkschaftsaktivität so hoch wie nie seit den 70er Jahren: Gewerkschaften beginnen, sich für neue Zielgruppen einzusetzen, neue Gewerkschaften werden gegründet, wie im Beispiel der Lieferdienstfahrer*innen. Doch für ein Gelingen gibt es eine entscheidende Voraussetzung, merkt Arnold Maxwill an: „Die digital vernetzten Strukturen müssen auf die Straße kommen, die Körper müssen in Bewegung geraten!“
Was Literatur leistet
Eine weitere Frage ist die, für wen Digitalisierung zu einem Problem wird. Während die großen Firmen sich während Corona recht mühelos auf den digitalen Markt umstellen konnten, war es besonders für die Angestellten krisenhaft, gerade im Einzelhandel oder im Gesundheitssektor. Eine mögliche Art, diese Diskurse kulturell zu verankern, bietet die Literatur. In Anlehnung an die Erinnerungsliteratur der 80er Jahre wünscht sich Arnold Maxwill mehr Prosa, die sich anhand autofiktionaler Elemente der momentanen Erfahrungen in der Arbeitswelt annimmt.
Ein weiteres Thema, das beide umtreibt, ist die digitale Form der Literatur. Ist Literatur nur in ihrer gedruckten Form ein Mittel der Entschleunigung – in Opposition zum Digitalen? Auf Blogs, auf Facebook, auf Twitter, überall findet Literatur statt, oft in der kleinen Form. Arnold Maxwill findet: „Auch diese flüchtigere Form bereichert unsere Lesegewohnheiten.“ Iuditha Balint wirft ein: „Wenn man an die ‚Sekundenprosa‘ denkt, ist das kein ganz neues Konzept. Vielleicht kann es eine Koexistenz von verschiedenen Modellen des Lesens geben.“
MIT ALLEN SINNEN - Aktiv im Thema
verdi.de/themen/digitalisierung | Die Gewerkschaft Verdi informiert über Chancen und Risiken, die sich durch die Digitalisierung für die Vertretung der Rechte von Beschäftigten ergeben.
pes.eu/export/sites/default/.galleries/Documents-gallery/Digital-DE.pdf_2063069299.pdf | Die Sozialdemokratische Partei Europas über „Arbeitsrechte und sozialen Fortschritt in der digitalen Wirtschaft“.
fes.de/themenportal-gewerkschaften-und-gute-arbeit | nformationen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Gewerkschaftsarbeit, insbesondere im Zuge der Digitalisierung.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Auf Entzug
Intro – Mit allen Sinnen
Solidarität braucht Begegnung
Digitalisierung vereinzelt tendenziell Beschäftigte. Das lässt sich ändern – Teil 1: Leitartikel
„Neue Klassenkonflikte“
Soziologe Simon Schaupp über Digitalisierung und Arbeiterinteressen – Teil 1: Interview
Laut oder aus!
Lärm ist subjektiv – und objektiv schädlich – Teil 2: Leitartikel
„Ein eindeutig gesundheitsgefährdendes Potenzial“
Ingenieur Christian Popp über Umgebungslärm und Defizite im Lärmschutzrecht – Teil 2: Interview
Durch Drängen zum Flüsterton
Die Bürgertaskforce A 46 bündelt den Einsatz für Lärmschutz in Wuppertal – Teil 2: Lokale Initiativen
Wer schreit, hört nichts mehr
Medienverantwortung und Kommunikationsrausch – Teil 3: Leitartikel
„Wir müssen Medienkompetenz als Kernkompetenz entwickeln“
Medienexpertin Anna Litvinenko über den Umgang mit der Informationsflut – Teil 3: Interview
Vergessene Nachrichten
Die Initiative Nachrichtenaufklärung in Köln – Teil 3: Lokale Initiativen
Der stille Kampf gegen den Lärm
Die Niederlande bauen seit Jahrzehnten Maßnahmen gegen Lärmbelastung aus – Europa-Vorbild: Niederlande
Statische Unruhe
Digital verseucht – Glosse
Bildung für Benachteiligte
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
Ein neues Leben aufbauen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
Ankommen auch im Beruf
Teil 3: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
Lebendige Denkmäler
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
Spenden ohne Umweg
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Zivilcourage altert nicht
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Immer in Bewegung
Teil 1: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Europa verstehen
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Verbunden über Grenzen
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Korallensterben hautnah
Teil 1: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen