In den 1980er Jahren hat man sich im Hollywoodkino zum ersten Mal getraut, in Actionfilmen nicht nur auf muskelbepackte männliche Helden zu setzen, sondern auch Frauen als aktive und selbstbestimmte Hauptfiguren zu inszenieren, die dem anderen Geschlecht locker das Wasser reichen können. Mit verantwortlich für diesen Wandel ist zuvorderst die Produzentin Gale Anne Hurd, die durch ihre frühen Erfolge an der Seite von James Cameron, „Terminator“ und „Aliens – Die Rückkehr“, ein neues Frauenbild in ihren Filmen transportierte.
Geboren wurde Hurd am 25. Oktober 1955 in Los Angeles als einziges Kind eines Finanzinvestors. Auch sie selbst schlug bald einen ähnlichen Weg ein, studierte „Wirtschaft und Kommunikation“ an der Stanford-Universität, die sie 1977 mit einem Bachelor-Grad verließ. Erste Kontakte mit der Filmindustrie knüpfte sie in Roger Cormans legendärer Produktionsfirma New World Pictures, in der sie zunächst einige administrative Posten bekleidete, bis sie sich schließlich bis in den Produktionsbereich vorgearbeitet hatte. Zu ihren ersten Filmcredits zählen deswegen auch klassische Beiträge zur Bahnhofskinokultur der späten 1970er und frühen 1980er Jahre wie „Insel der neuen Monster“, „Sador – Herrscher im Weltraum“ oder „Das Grauen aus der Tiefe“.
Im Nachhinein ist Gale Anne Hurd etwas belustigt über die Tatsache, dass die Genres, in denen sie erste Filmerfahrungen sammelte – Science-Fiction, Fantasy und Comicverfilmungen – und die damals B-Movies waren, heute die Grundlage für die größten Blockbuster aus der Traumfabrik liefern. Hier hat sich offensichtlich ab den 1980er Jahren etwas gewandelt, woran der Erfolg von Hurds Produktionen ebenfalls nicht unbeteiligt gewesen sein dürfte. Ihr erster im Alleingang produzierter Film war 1984 „Terminator“, inszeniert von James Cameron, einem weiteren Schüler aus der Talentschmiede Roger Cormans (für den er als Production Designer an „Planet des Schreckens“ und ebenfalls an „Sador“ gearbeitet hatte).
Cameron und Hurd schrieben auch gemeinsam das Drehbuch zum großen Überraschungserfolg, der bei einem Budget von 6.5 Millionen Dollar im Kino nicht nur das 12fache seiner Produktionskosten einspielte, sondern auch Arnold Schwarzenegger zum Actionfilmstar machte. Filmgeschichtlich um einiges wichtiger und interessanter ist allerdings der Fakt, dass Linda Hamilton alias Sarah Connor in der Filmhandlung widerwillig ebenfalls in eine Heldenrolle gedrängt wird, in der sie über sich selbst hinauswächst und damit das Actiongenre revolutionieren sollte. Eine ähnlich wichtige Rolle hatte zuvor höchstens noch Sigourney Weaver in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ von Ridley Scott gespielt, doch in diesem Film dauerte es noch deutlich länger, bis die Heroin mit dem sabbernden Außerirdischen mit dem phallusartigen Kopf allein war, um einen Kampf auf Leben und Tod auszutragen.
Das war dann schließlich bei „Aliens – Die Rückkehr“ schon ganz anders, den das Team Hurd/Cameron (die von 1985 bis 1989 auch miteinander verheiratet waren) auf den „Terminator“ folgen ließ, und in dem Sigourney Weaver bereits schwer bewaffnet auf den Filmplakaten als Actionheldin stilisiert wurde – ironischerweise mit dem Maschinengewehr auf dem einen und mit der kleinen Newt (Carrie Henn) auf dem anderen Arm, um auch den über Jahrzehnte etablierten mütterlichen Beschützerinstinkt nicht zu kurz kommen zu lassen. Erst mit diesem Film wurde die Weaver zu einem Genrestar à la Schwarzenegger, Stallone oder Willis, blieb diesem Image aber nur noch in den beiden folgenden „Alien“-Filmen treu.
Gale Anne Hurd arbeitete in den folgenden Jahren noch bei „Abyss – Abgrund des Todes“ und „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“ mit Cameron zusammen. Bei letzterem war die Rolle von Linda Hamilton dann auch wesentlich martialischer und brutaler angelegt als noch beim Vorgängerfilm. Auch in den 1990er Jahren blieb die Produzentin dem Action- und Eventkino treu, produzierte Kassenschlager wie „Tremors – Im Land der Raketenwürmer“, „Dante’s Peak“ oder „Armageddon – Das jüngste Gericht“. Als sie schließlich 2003 die Ang-Lee-Verfilmung von „Hulk“ in die Kinos brachte, trug sie damit ihren Teil dazu bei, Comicverfilmungen auf der großen Leinwand wieder salonfähig zu machen und das Genre in ganz neue Blockbuster-Sphären zu führen. Auch die Graphic-Novel-Adaption „The Punisher“ von Jonathan Hensleigh (mit dem Hurd seit 1995 in vierter Ehe verheiratet ist) oder „Æon Flux“ mit der Action-Heldin Charlize Theron wurden von Hurd in die Kinos gebracht.
Seit den 2010er Jahren hat sie ihre Produzententätigkeit weitgehend auf Fernsehserien verlagert, womit sie einmal mehr den richtigen Riecher bewies. Von „The Walking Dead“ entsteht derzeit bereist die elfte Staffel, selbst die von Hurd betreuten Ablegerserien „Fear the Walking Dead“ und „The Walking Dead: World Beyond“ haben ihre Fans gefunden. Wie sie in einem Interview im Rahmen des diesjährigen Festivals von Locarno erläuterte, ist sie eigentlich kein Fan von Sequels oder Fortsetzungsgeschichten: „Originalität und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ergeben eine bessere Filmqualität.“ Dennoch sieht sie auch die Vorteile, die Streamingdienste gerade für das serielle Erzählen mit sich gebracht haben – man kann als Zuschauer keine Folge mehr verpassen, was es dem Publikum umso leichter macht, sich immer wieder auf Charaktere einzulassen, mit denen es bereits vertraut ist. An Gale Anne Hurds Einstellung, was ihr an Filmen oder Serien wichtig ist, hat sich in über 40 Jahren Produzententätigkeit kaum etwas geändert. „Ich mag Geschichten über einfache Leute, die ihre Fähigkeiten anzweifeln, um dann doch über sich hinauszuwachsen.“ Und wenn es sich dabei auch noch um Frauen handelt, ist das Hurd nach wie vor umso lieber.
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