Fast könnten man meinen, man habe sich irgendwie im Genre verirrt: Da stürmen diese bulligen Typen in ihren martialischen Outfits auf die Bühne, hüllen sie mit tragbaren Nebelmaschinen in dichte Schwaden, posen testosterongeladen vorn an der Rampe und üben sich gar im Headbanging. Jetzt könnten gut im Hintergrund die Scheinwerfer für die Band angehen und dazu brachiale E-Gitarren aufheulen – doch es ist die Ouvertüre zu Verdis vorletzter Oper „Otello“, die erklingt. Roland Schwab hat sie für die Essener Aalto-Oper in Szene und damit Maßstäbe gesetzt.
Denn Schwab hält sie durch, diese enorme Spannung und Energie des Auftakts. Otello und Jago sind Frontschweine, wie sie „Apocalypse Now“ entsprungen sein könnten. Spätestens, wenn im Hintergrund Dschungelvegetation auftaucht und anschließend im hellen Schein eines Napalmangriffs aufglüht, drängt sich diese Assoziation auf. Das ist typisch für Schwab, der viel Sinn fürs Naheliegende und Eindeutige hat, den Zuschauer nicht mit vagen, unausgegorenen Ideen hängen lässt; erst recht keine Figuren umdeutet. Und doch ist die Geschichte keineswegs so einfach strukturiert wie der kahlgeschorene Titelheld, ein tumber Haudrauf, der eigentlich nur den Krieg kennt. Schnell wird klar, dass die Kriegsbilder ebenso wie die multiplen Abbilder seiner selbst, die zombiegleich hinter halb geöffneten Jalousien lauern, Dämonen in seinem Kopf sind, im Hirn eines seelisch verkrüppelten Psychopathen. Dass die Jalousie im Französischen denselben Namen wie die Eifersucht trägt, wird hier sinnfällig. Denn es ist ja die Eifersucht, geschürt vom Anführer der Dämonen, dem teuflischen Opportunisten Jago, die den großen Befehlshaber Otello zerfrisst und zu Fall bringt. Die Intrige um das wohl berühmteste Taschentuch der Literatur- und Operngeschichte verliert in dieser Erzählung stark an Gewicht. Das macht aber nichts.
Ausstatter Piero Vinciguerra strukturiert den abstrakten Bühnenraum sehr effektiv mit einfachen Mitteln, vor allem den Jalousien. Die starke Atmosphäre darin aber besorgt im Wesentlichen Lichtdesigner Manfred Kirst mit Nebel und geschickt gesetzten Kontrasten und Farbakzenten. Gaston Rivero als Otello und Nikoloz Lagvilava als Jago dominieren körperlich wie stimmlich diese Inszenierung mit extremer Präsenz und Ausstrahlung. Für Gabrielle Mouhlen als Desdemona bleibt da leider wenig Platz für eine so zentrale Rolle, wie sie Verdi eigentlich vorgesehen hat. Schwabs Desdemona ist zum hübschen, sexy Modepüppchen degradiert, zu einem zwar spektakulär ausstaffierten – das Brautkleid von Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht ist ein echter Hingucker – aber in der Tiefe der Charakterzeichnung kommt sie zu kurz. Sogar gesanglich kommt Mouhlen zuweilen etwas kühl rüber. Andererseits gelingen ihr eine ganze Reihe sehr anrührender Momente. An dieser Widersprüchlichkeit hat Dirigent Matteo Beltrami seinen Anteil. Er gestaltet diesen Verdi ziemlich radikal, mit maximaler Dramatik, zuweilen auch um den Preis klanglicher Schroffheit. Das Zarte und Lyrische wird da zum Kontrast statt zum Kern der Geschichte. Beltramis Herangehensweise polarisiert mit Sicherheit. Das ist durchaus mutig – und es passt zur Inszenierung. Selbst wer musikalisch seine Probleme damit hat, sollte diesen Otello gehört und gesehen haben. Prädikat: Herausragend!
„Otello“ | R: Roland Schwab | 7.4. 18 Uhr, 18.4. 19.30 Uhr, 12.5. 16.30 Uhr | Aalto Musiktheater Essen | 0201 812 22 00
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