Typisch britisches Understatement war nie sein Ding. Derlei hat der gebürtige Londoner Gary Oldman nicht erst mit seinem Umzug in die USA 1990 abgeschüttelt wie seinen Cockney-Dialekt. Er schrie, wütete und tobte schon zu Beginn seiner Karriere mit einem Mut zum Exzess, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach einer klassischen Schauspielausbildung und Theaterengagements sowie einigen TV-Filmen gab er in „Sid und Nancy“ sein Leinwanddebüt. Abgemagert auf die Idealmaße des Heroinchics, tanzte er 1986 saufend und fixend als Inkarnation der Sex Pistols-Front-Mann Sid Vicious den Dance macabre der No Future-Generation. Wenig später erntete er in Stephen Frears Biopic „Prick up your ears“ erneut Lob für seine Interpretation des Dramaturgen Joe Orton, der Ende der 1960er Jahre von seinem langjährigen Lebensgefährten erschlagen wurde. Biographische Portraits polarisierender Persönlichkeiten gehören wie die exaltierten Bösewichte und die perfekte Aneignung jeglicher Akzente seither zu seinem Oeuvre. Dadurch wurde er zum Primus der in den 1980ern als Brit Pack gehandelten Gruppe vielversprechender Jungschauspieler.
Der internationale Durchbruch bahnte sich mit Oliver Stones paranoider Verschwörungsphantasie „JFK-Tatort Dallas“ an, in dem Oldmans Präsenz kurzerhand das Gesicht des echten Lee Harvey Oswald aus dem historischen Kollektivgedächtnis tilgte. Spätestens mit der Mischung aus sinisterem Verführer und instinktivem Raubtier als „Bram Stoker’s Dracula“ kam er im Mainstream an, den romantischen Casanova ohne Widerhaken gab er jedoch nie. In einer direkten Kollision mit seiner physischen Wucht, für die der Terminus „method acting“ eine platte Beleidigung wäre, klatschte er diverse Konterparts an die Wand. In den 1990ern verprügelte er als siffiger Zuhälter Drexl in „True Romance“ Christian Slater, gab den zwischen Genie und Wahnsinn chargierenden Beethoven („Ludwig van B. – Meine unsterbliche Geliebte“) oder rettete als russischer Terrorist Ivan Korshunov „Air Force One“ davor, in einer Flutwelle amerikanischen Patriotismus’ zu ersaufen. Nie war Fundamentalismus so sexy. Auch andere mittelmäßige Filme wie „Lost in Space“ wurden durch seine Anwesenheit gar sehenswert. Bis auf ein wenig Alkoholismus, der in Hollywood bekanntlich zum guten Ton gehört, erlebte Oldman seine erste US-Dekade erstaunlich skandalfrei, trieb seine inneren Dämonen bevorzugt auf der Leinwand aus. In diese Ära fällt auch sein mit Preisen dekoriertes Regiedebüt „Nil by Mouth“ (1997) um eine Londoner Prekariatsfamilie.
Unsterblich machte er sich bereits 1994 durch den korrupten Drogenfahnder und Soziopathen Norman Stansfield in Luc Bessons Meisterwerk „Léon- Der Profi“. Mit der einen Hand ein imaginäres Orchester dirigierend, mit der anderen eine Halbautomatik schwingend, mäht er hier einer bizarren Choreographie folgend die Familie eines unartigen Kleindealers nieder und generiert einen der poetischsten und verstörendsten Momenten der Filmhistorie.
Nach dem 11. September war der Flirt mit attraktiven Erzbösewichten zunächst nicht mehr schicklich und die temporäre Stagnation, die für Oldmans Schaffen folgte, unumgänglich, um ihn von seinem eindimensionalen Abonnement auf Schurken zu befreien. Ein unfairer Stempel, der kleine Glanzleistungen wie seine Performance in dem Politthriller „Rufmord – Jenseits der Moral“ unterschlägt. Erst als Sirius Black in der Harry Potter-Reihe und integerer Cop in Christopher Nolans kommerziell wie künstlerisch erfolgreicher Neuauflage des Batman-Mythos’ durfte er dieses Image karikieren und vor der breiten Masse abstreifen. In der Adaption des John le Carré-Romans „Dame, König, As, Spion“ glänzt Oldman aktuell als Kontrollfreak mit Pokermiene ohne manische Ausbrüche, was mit einer Oscar-Nominierung belohnt wurde. Ob er mit fast 54 Jahren ruhiger werden wird, darf bezweifelt werden. Auf die Frage nach dem Altern würde der Berufsberserker vermutlich mit einem Zitat seines Alter Egos Stansfield kontern: „I haven’t got time for this Mickey Mouse bullshit.“
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