Wenn Raimund Hoghe in Wuppertal auftritt, kann er sich einer ganz besonderen Art der Verbundenheit, Bewunderung und hingerissenen Begeisterung des Publikums sicher sein. Hoghe ist ein Kind der Stadt, arbeitete erst als Reportage-Autor für unter anderem die ZEIT, bis er sich nach zehn Jahren als Dramaturg an Pina Bauschs Tanztheater als eigenständiger Choreograph emanzipierte.
Eigentlich ist Hoghe für eine eher karge Strenge bekannt. Seine Arbeit „Songs for Takashi“, die im Programm des Festivals tanz nrw in der ausverkauften Wuppertaler Börse zu sehen war, wirkt jedoch leicht und verspielt, obschon von leiser Melancholie und Sehnsucht durchweht, einem beständigen Hauch des Abschieds.
„Every Time We Say Goodbye“ ist dementsprechend einer der ersten Songs, die in gedämpfter Lautstärke über die Lautsprecher klingen. Raimund Hoghe steht dazu einfach da. Er steht da, inmitten des komplett mit weißem Stoff ausgehangenen Bühnenraum und strahlt eine unglaubliche Präsenz aus. Klein, mit dem charakteristischen Buckel auf dem Rücken und einem leichten Hinken beim Gehen, nimmt er eine Sonderstellung im Kreise der Tänzer ein, in der sich Würde, Anmut und leiser Humor zu einem außergewöhnlichen Stil verbinden.
Raimund Hoghe braucht bloß seine Position im Raum zu verändern, um einen starken Eindruck zu vermitteln. Ein Gefühl dafür, was es bedeuten könnte, zu verschwinden, Wissen und Erfahrung an neue Generationen weiterzugeben. In der Folge agiert er wie ein Schatten oder Stichwortgeber für den jungen Tänzer Takashi Ueno, der über den Bühnenboden streichend erscheint. Als suche oder verwische er Spuren im Sand.
Hoghe legt ihm ein Bühnenbild aus Blumen, er wirft sie auf den Boden wie in sein eigenes Grab. Er kommt bunt gekleidet oder in weiblicher Anmutung oder mit einer Art Ghettoblaster wieder, er legt Takashi Ueno, mit dem er in den vergangenen Jahren oft zusammengearbeitet hat, Fährten aus Musik und wenigen Requisiten. Zu mittelalterlicher Gitarrenmusik und Opernarien, die knistern als würden sie von Vinyl abgespielt, führt der junge Tänzer zarte, tastende Bewegungschoreographien auf. Er hebt die Hände flehend zur Bühnendecke, legt Blumen nieder für „Sa Jeunesse“, für die Unwiederbringlichkeit der Jugend, die Charles Aznavour im Chanson besingt.
Doch es bleibt nicht bei melancholischen Abschiedsbildern. Zu italienischem Pop-Balladen-Kitsch oder Scott Walkers Cowboy-Song „Jackie“ hüpft der Tänzer ausgelassen und schwärmerisch im Kreis, während Hoghe fast schon albern durch den Hintergrund hoppelt, die Arme erhoben als hätte er Zügel in der Hand.
Hoghe und Ueno schaffen es mit „Songs for Takashi“, der organischen Verbindung aus Musik und Tanz neue Ideen zu entlocken. Die Jugend lernt aus den Mixtapes der Alten. Und beide kehren am Ende noch einmal als Boxer zurück, kämpfen sich gleichermaßen durch den Wust aus Formen und Ereignissen, den das Leben darstellt und der nicht immer Ordnung und Sinn ergibt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wenn das Wesen aus der Hülle schlüpft
Reut Shemesh' „Cobra Blonde“ beim Auftakt von tanz nrw – Auftritt 05/21
Sich aufeinander zubewegen
Projekt im PACT zum Thema Polarisierung – Tanz 05/19
„Wir tauchen das erste Mal wieder so richtig ein“
Intendantin Adolphe Binder über die neuen Stücke des Tanztheater Wuppertal – Tanz in NRW 05/18
Lyrische Ausbrüche im Gewitter
Die Eröffnung von tanz nrw im Pact Zollverein am 3.5.
Viel zu entdecken
tanz nrw 17 schöpft aus dem Füllhorn der ansässigen Szene – Tanz in NRW 04/17
Sprungbrett
„Was rauskommt, ist unklar“ – ein Rechercheformat bei tanz nrw – Tanz in NRW 04/17
Laute Mädchen
Konzerte zum Träumen, Mitwippen und in die Luft springen – Popkultur in NRW 01/17
Tanz in der Nachbarschaft
Mit den ehrenfeldstudios entsteht ein neuer Tanzort in Köln – Tanz in NRW 12/15
Tanz satt
Das Festival tanz nrw 15 zeigt den Reichtum der Tanzszene – Tanz in NRW 04/15
Jubiläum in Wuppertal
Vierzig Jahre Tanztheater – Tanz in NRW 10/13
Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25
Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die Kölner TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache in Köln – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Kölner Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23