Mit dem Körper und seiner Darstellung lässt sich trefflich provozieren. Für den Tanz liegt diese Herausforderung in der Natur der Sache. Der Körper lässt sich mit Kleidern skandalös in Szene setzen, man kann aber auch mit Gesten Empörung hervorrufen. Heute werden gutgelaunte Teenager, die in ihrer Wohnung zur Musik des Songs „Happy“ tanzen, in Teheran vor Gericht gezerrt. Hundert Jahre zuvor überwachte die Obrigkeit junge Leuten in Berlin, weil sie den Apachen-Tanz vorführten. Das subversive Potenzial der Tanzkunst dokumentiert die neue Jahresausstellung „Faltenwurf und Walzerschritt – Tanz und Mode im Wandel der Zeit“ des Deutschen Tanzarchivs mit üppigem Materialeinsatz. Über 700 Kostüme besitzt das Archiv und zeigt im Deutschen Tanzmuseum etwa ein aus Seide gewebtes Tanzkleid der legendären Isadora Duncan, das sie 1910 auf der bloßen Haut trug und das vollkommen transparent ist. „Sie wollte selbstverständlich ihren Körper zeigen“, erklärt Thomas Thoraus lachend, der mit Katja Stromberg die Ausstellung kuratierte.
Gefertigt wurden solche textilen Kunstwerke in Pariser Modestudios von Paul Poiret oder später von Hubert de Givenchy. Duncans Kleid ist der Antike nachempfunden und wird mit der Terrakottastatuette einer griechischen Manteltänzerin aus den 2. Jahrhundert vor Christus präsentiert. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Mit solch klugen Beziehungseffekten, die in kleinen Raumformationen arrangiert wurden, ist die Ausstellung im Deutschen Tanzmuseum reichhaltig bestückt. Gleich nebenan sieht man einen Tourneekoffer von 1925 und das Kleid von Charlotte Bara. Ein schwarzes Nichts, das demonstriert: Es geht noch transparenter, wenn man eine ägyptische Göttin darstellen wollte.
In der Ausstellung werden zahlreiche Themen miteinander verflochten. So findet sich im Spiel der durchsichtigen Schleier auch immer wieder die philosophische Frage nach der Wahrheit, die sich unserer Wahr-Nehmung nur erschließt, wenn sie enthüllt werden kann. Die taktile Sinnlichkeit der Stoffe und Materialien zieht den Blick wie von selbst durch die gleich einer Straße angelegte Ausstellungslandschaft. So ist es ein Erlebnis, zu beobachten, wie eine Tänzerin vom Format einer Dore Hoyer, die Stoffmassen und den Schnitt eines Kostüms für ihre Choreographie nutzt.
In kurzen Videoclips kann man die vitale Provokation mancher Modetänze, wie dem in Harlem getanzen Shimmy, erleben, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Twist wird hingegen eher ein wenig verklemmt am Strand getanzt, und im letzten Raum dürfen die „Herzen im Dreivierteltakt schlagen“, obwohl die Kardiologen solche Walzerseligkeit eher für bedenklich halten. Ein großes Vergnügen bereitet die Ausstellung mit ihrem dicht gewebten Netz aus visuellen und inhaltlichen Bezügen. Die Inspiration der Besucher entzündet sich daran jedenfalls mit Leichtigkeit, und sie hält uns als Publikum dazu an, stets nach Einsatz und Bedeutung der Kostüme zu fragen, die in einer Choreographie verwendet werden. Wie nachlässig viele aktuelle Produktionen ausgestattet sind, wird den Ausstellungsbesuchern schnell offenbar, wenn sie durch das historische Angebot dieser klug arrangierten Schau wandeln.
„Faltenwurf und Walzerschritt – Tanz und Mode im Wandel der Zeit“ | Do-Di 14-19 Uhr | Tanzmuseum, Im Mediapark 7, 50670 Köln | montags freier Eintritt
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