Vor fast zehn Jahren wagte sich Johan Inger mit seinem ersten Handlungsballett an dieses bekannte wie umstrittene Stück: Georges Bizets „Carmen“ über eine Dreiecksbeziehung erschien in der Fassung des international renommierten, schwedischen Choreografen aus einer neuen Perspektive. Mit der Compañía Nacional de Danza in Madrid eröffnete Inger die Opernhandlung aus den Augen eines Kindes, das Zeuge wird von Gewalt und Obsession. Nun kommt die mit dem Prix Benois de la Danse ausgezeichnete Choreografie ans Essener Aalto Theater.
Für seine Bearbeitung suchte Inger Antworten auf zeitgenössische Fragen zu dem Klassiker: Wie lässt sich diese knapp 150 Jahre alte Opernvorlage in eine zeitgemäße Ballettproduktion übersetzen? Was tun mit dem Testosteron-schwangeren Treiben rund um die titelgebende Carmen und den Soldaten Don José? Schließlich ist diese in Sevilla angesiedelte Dreiecksliebesgeschichte von patriarchalen Strukturen des 19. Jahrhunderts geprägt. Grob zusammengefasst: Die Fabrikarbeiterin Carmen zieht in einer Pause die Aufmerksamkeit von Soldaten auf sich – auch die von Don José. Dieser muss Carmen bewachen, nachdem sie vor Ort in eine Schlägerei mit anderen Frauen der Fabrik verwickelt wurde. Doch Don José lässt sie frei, weswegen er selbst zur Strafe in den Arrest muss. Wieder entlassen, gesteht er ihr seine Liebe und erhält einen Korb. Denn Carmen befindet sich inzwischen in einer Beziehung mit dem Torero Escamillo, dem sie zu seinem Stierkampf folgt. Dort ersticht José Carmen aus Eifersucht.
Der u.a. an der Königlichen Schwedischen Ballettschule ausgebildete Inger entschied sich, diese Geschichte aus der Sicht eines Kindes zu zeigen. Bei den Aufführungen in Madrid steckte es in einem unschuldigen weißen Kleid, während sich im Hintergrund eine graue Wand erhob. Davor huschten die eigentlichen Protagonist:innen wie Schattengestalten in ihr Schicksal. Ingers Choreografie begleiten die Essener Philharmoniker u.a. mit der 1967 vom Komponisten Rodion Schtschedrin modernisierten „Carmen-Suite“, einer Bearbeitung der Musik aus Bizets Vorlage.
Carmen | 13.10., 19.10., 27.10. | Aalto Theater, Essen | 0201 812 22 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25
Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Gegenwart einer Gegenkultur
„Pump Into The Future Ball“ in der Jahrhunderthalle Bochum – Tanz an der Ruhr 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache in Köln – Tanz in NRW 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24