Die Menschheit trennt sich nicht nur in oben und unten, groß und klein, arm und reich, dick und dünn, sondern auch – und wahrscheinlich hauptsächlich – in Nichtraucher und Raucher. Besonders in diesen Monaten, im Vorfeld der Novellierung des Nichtraucherschutzgesetzes, schlagen die Wellen der Empörung in beiden Lagern hoch.Die Kontrahenten stehen sich fast so unversöhnlich gegenüber wie Protestanten und Katholiken im Dreißigjährigen Krieg. Die Nichtraucher wundern sich über die einzige Spezies auf diesem Planeten, die freiwillig Verbrennungsprodukte einatmet. Jedes andere intelligente Wesen, egal ob Mücke oder Elefant, flieht vor Rauch. Wer tatsächlich schon einmal einen Menschen, der an Lungenkrebs erkrankt ist, auf seinen letzten Wochen begleitet hat und mitansehen musste, wie dieser ganz langsam erstickt, kann wahrscheinlich nicht verstehen, wie man rauchen kann. Oder er steckt sich, um die seelische Belastung zu verkraften, schnell eine an. Die Raucher wiederum fühlen sich durch die immer drastischeren Verbote gemaßregelt. Die Prohibition in den USA der 1930er Jahre sei kaum weniger rigoros zu Trinkern gewesen wie die grüne Gesundheitsministerin Barbara Steffens zu den Rauchern. Grüne und SPD seien, so ist an den Stammtischen der Raucherclubs zu hören, sowieso für ihre Reglementierungswut bekannt und die Grünen noch dazu für ihre Lustfeindlichkeit. Alles was raucht, egal ob Kraftwerk, Fabrik, Auto oder Mensch, wollten die Ökos verbieten.
Sollte die Novellierung in ihrer jetzigen Form kommen, wären Ausnahmereglungen wie separate Raucherräume in Gaststätten, Raucherclubs, das Rauchen in öffentlichen Räumen bei geschlossenen Gesellschaften und auch das Rauchen in Festzelten verboten. Ob mit diesem Verbot ein Kneipensterben verbunden ist, wie dies die CDU und FDP im Landtag befürchten, kann aber nicht mit Sicherheit prognostiziert werden. Der Gaststättenverband Dehoga veröffentlichte die Zahl von 3.000 Kneipen, die aufgrund der neuen Gesetzgebung schließen müssten. In Bayern allerdings, wo ein ähnlich rigoroses Rauchverbot herrscht, ist es nicht zu einem Kneipensterben gekommen. Im Gegenteil, der Umsatz ist nach der Verschärfung des Nichtraucherschutzes im Gaststättengewerbe sogar gestiegen.
Darf sich ein Mensch selbst schädigen?
Ein Argument allerdings können die meisten Rauchverbieter nicht widerlegen. Warum dürfen sich Raucher nicht kollektiv und freiwillig vergiften? In die Eckkneipen, die sich inzwischen Raucherclubs nennen, müsste doch kein Nichtraucher gehen, wenn er nicht will. Geht es den Politikern vielleicht doch auch um die Gesundheit der Raucher, um die Gesundheit des Volkes, gar um die Volksgesundheit? Massive Steuererhöhungen auf Tabakprodukte sollten das Rauchen ja auch generell eindämmen und mitnichten nur die Nichtraucher schützen. Und schon öffnet sich eine eher philosophisch-moralische Dimension bei der Diskussion um den richtigen Umgang mit Glimmstängeln. Darf sich ein Mensch selbst schädigen, und ist das vielleicht sogar eine kulturelle Handlung, die ihn von Mücke und Elefant unterscheidet? Bei dem Konsum von Haschisch oder gar Heroin, so scheint es, haben grüne Politiker nicht so ein Problem wie beim Nikotinkonsum. Die Unvernunft kann ja auch als kulturelle Leistung interpretiert werden. Je nach Altersklasse hören die Ökos Janis Joplin oder Amy Winehouse, stimmen im Landtag aber gegen Raucherclubs.
Den jetzigen Nichtraucherschutz, der nun verschärft werden soll, halten viele Veranstalter im Ruhrgebiet übrigens für ausreichend. „Wenn Trinker-Kneipen oder Clubs den Rauchern ein Zuhause geben möchten, ist das in Ordnung. Nichtraucher, egal ob Gast oder Personal, haben ja genug andere Möglichkeiten“, sagt zum Beispiel Georg Delfmann vom Cabaret Queue aus Dortmund. Benedikt von Randow vom Bahnhof Langendreer in Bochum sieht gar ein existenzielles Problem in der geplanten Novellierung. „Wir können niemanden zum Rauchen nach draußen schicken. Wir bekommen sonst wegen des ‚Lärms‘ Probleme mit den Nachbarn. Die Verschärfung wäre für uns eine Katastrophe!“
Etwas unbehaglich mag sich der anarchistische Raucher aber auch fühlen, wenn er für seine Rechte eintritt. Schließlich findet er sich mit seinem wütenden Protest in schlechter Gesellschaft wieder. Besonders die großen Tabakkonzerne versuchen mit massiver Lobbyarbeit, weitere Einschränkungen beim Quarzen zu verhindern. Führte nämlich nach dem flächengrößten Bundesland Bayern auch das bevölkerungsreichste Bundesland NRW ein rigoroses Rauchverbot ein, zögen bald die kleinen Länder nach, und uns drohten Verhältnisse wie in den USA. Die FDP, die sich von Hoteliers schon mal den Wahlkampf bezahlen lässt, um daraufhin für jene Branche steuerliche Erleichterungen zu beschließen, verteilt deshalb gerade im Lande Plakate, Bierdeckel und Feuerzeuge mit der Aufschrift „Grün-rotes Rauchverbot ist der sichere Kneipentod“. Die Liberalen möchten so die Lufthoheit über den Stammtischen gewinnen. Vielleicht ein überzeugendes Argument, endlich mit dem Rauchen aufzuhören.
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