Ein politisches Erbe kann man nicht ausschlagen. Darüber dürfte sich Henriette Reker im Klaren gewesen sein. Und so trat Kölns neue Oberbürgermeisterin die Flucht nach vorne an: In einen Offenbarungseid oder, freundlicher ausgedrückt, in höchste philosophische Weisheit. Ich weiß, dass ich nichts weiß, war der Tenor der Pressekonferenz, auf der Reker das Sanierungsdebakel der Kölner Bühnen auf den Begriff brachte. Debakel kommt aus dem Französischen und bedeutet Zusammenbruch oder Auflösung, zum Beispiel von vereisten Ozeanen. Mit anderen Worten: Endlich lösen sich all die vermeintlichen Sicherheiten auf. Termine für die Wiedereröffnung? Es kann 2018, es kann aber auch 2020 werden. Sanierungskosten? 100 Mio., vielleicht auch 150 Mio. Euro mehr. Die unendliche Weite des Planungs-Nichts liegt offen vor den Kölnern.
Mehr als 170 Firmen sollen derzeit auf der Baustelle am Offenbachplatz werkeln. Der Projektsteuerer wurde ausgetauscht, eine Firma trieb in die Insolvenz, von Sabotage war die Rede, eine andere Firma wurde gekündigt und mit einem Prozess überzogen. Die derzeitig Bestandsaufnahme und eine neue Terminplanung dürften sich bis mindestens Sommer 2016 hinziehen. Da das Chaos sowieso schon perfekt ist, griff Reker zur Strategie der negativen Überbietung. Nun steht der Worst Case im Raum, der letztlich zu jeder guten Projektplanung gehört. Und plötzlich fühlt sich die Stadt erleichtert: Endlich hat es jemand ausgesprochen. Die Entlastung ist spürbar, die Oberbürgermeisterin hat therapeutisch die Last auf sich genommen, die sich niemand mehr aufladen wollte. Schon gar nicht nach all den vielen Tiefschlägen für Politik, Verwaltung und Kunst.
Dass Henriette Reker die Pressekonferenz mit dem Satz: „Ich glaube an dieses Projekt“, eröffnete, zwingt aber nun alle Getreuen in die Gefolgschaft. Weh dem, der jetzt nicht glaubt und zum Renegaten wird! Zum Beispiel den Kulturpolitikern von CDU und FDP. Die hatten Reker bei der Wahl unterstützt und zugleich lange auf die Oper eingeprügelt. Nun leisteten sie kürzlich Abbitte und versicherten den Mitarbeitern der Oper in einem Brief ihrer unverbrüchlichen Treue. Recht so! Denn Reker als Leiterin der Verwaltung hat die Bühnensanierung zur Chefinnensache gemacht. Und wo die Chefin glaubt, da glauben auch die Vasallen. Und die müssen nun in guter alter Nibelungentreue mit durch den Schlamassel – koste es, was es wolle.
Man sollte Reker allerdings nicht Unrecht tun. Zu ihren im Wahlkampf immer wieder angepriesenen Soft Skills sollte ein neuer Politikstil der Offenheit und der Transparenz gehören. Offen war die neue Oberbürgermeisterin ohne Zweifel. Reker hat das Sanierungs-Debakel in all seiner beschämenden Brisanz ausgebreitet. Das war ein erster Schritt. Was jetzt nottut, ist eine Professionalisierung der Verfahren und Strukturen, also eine Reform der Kölner Verwaltung selbst, die solche Katastrophen in Zukunft verhindert.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Dunkle Fassaden
Das Theater und die Energiekrise – Theater in NRW 09/22
Freunde und Netzwerke
In Dortmund wurde ein neuer Festivalverbund gegründet – Theater in NRW 03/22
Bachmann bleibt
Der Kölner Schauspielintendant verlängert seinen Vertrag – Theater in NRW 09/21
Die Schaubühne als weibliche Anstalt
Theaterfrauen in und aus NRW ausgezeichnet – Theater in NRW 12/19
Mülheim war schon immer schneller
Roberto Ciulli bekommt den Theaterpreis Faust – Theater in NRW 11/19
„Was ist überhaupt gut, was ist böse?“
Dedi Baron und Thomas Braus über „IchundIch“ in Wuppertal – Premiere 07/19
Gesellschaftliches Miteinander
Das Asphalt Festival in Düsseldorf – Bühne 07/19
Alles echt ohne Kohle
Klimafreundliche Donnerstage in Mülheim – Prolog 07/19
Schutz vor Verdienstausfällen
NRW plant Absicherung für freie Künstler – Theater in NRW 01/25
Offen und ambitioniert
Andreas Karlaganis wird neuer Generalintendant in Düsseldorf – Theater in NRW 12/24
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24