So ein bisschen hopsen, das kann doch nicht politisch sein. Im Reigen der Künste haftete dem Tanz schon immer das Etikett der Harmlosigkeit an. Aber es ist noch gar nicht so lange her, dass man in Deutschland meinte, einer Tänzerin den Kopf abschlagen zu müssen. Oda Schottmüller musste 1943 für ihre politische Überzeugung sterben, und man kann das Rad der Zeit bis ins Alte Testament zurückdrehen, um einen Moses zu finden, der in seinem Zorn die Tänzer töten ließ, die das Goldene Kalb umrundeten. Ein riesiger weißer Fleck herrscht auf der Landkarte unseres politischen Bewusstseins, wenn es um die gesellschaftliche Relevanz des Tanzes geht. Umso verdienstvoller, dass im Museum des Deutschen Tanzarchivs in Köln diesem Sujet nun eine eigene Ausstellung gewidmet ist.
Der Titel „Das Echo des Utopien“ weist schon auf die Ambivalenz der politischen Intentionen. Steht der Tanz einerseits am Beginn der Moderne, mit ihrem Kampf für individuelle Freiheit, dem Bestreben, Konventionen aufzulösen und ästhetisch neue Wege zu beschreiten, wird er auf der anderen Seite von den totalitären Apparaten der Nationalsozialisten und der Kommunisten mit seinen Massenszenen zum Instrument der propagandistischen Selbstdarstellung benutzt. Den Widersprüchen gehen die Kuratoren Thomas Thorausch und Klaus Jürgen Sembach bis in die Biografie einer Mary Wigman nach, die ebenso von den Nazis wie von der jungen Bundesrepublik geehrt wurde.
Die Ausstellung ist überreich bestückt mit Grafiken, Fotografien, Manifesten oder den Notationen der Choreografen. Ihren Kollegen vom Theater waren Choreografen wie Kurt Jooss, Pina Bausch oder Johann Kresnik oftmals voraus, wenn es darum ging, die Tabus freizulegen, die eine Gesellschaft in traumatischer Starre hält. Veränderung erlebt man am Körper, und dort, wo die Worte fehlen, dringt der Tanz in die tieferen Schichten menschlichen Bewusstseins vor. So gibt die Ausstellung denn auch eine Ahnung von der Furcht, die Staatsapparate zu allen Zeiten vor der Wirkung des Tanzes hatten. Tanzverbote zur Fastnacht oder den Feiertagen gab es zur Genüge, und es gibt sie bis heute.
Unter der Hand wurde keiner Kunst solche Subversion zugesprochen wie dem Tanz, der offenbar das Potenzial in sich birgt, alle gesellschaftlichen Grenzen sprengen zu können. Die Ausstellung enthält viel Material aus der bewegten Zwischenkriegszeit, aber sie nimmt den Faden auch bis ins Barock und in der anderen Richtung bis in unsere Gegenwart auf, die mit ihren Flashmobs einen neuen Akzent setzt. In den Clips kann man sehen, wie gegen die Immobilienhaie in New York auf der Straße angetanzt wird. Und zu Gloria Gaynors „I Will Survive“ tanzt der Holocaust-Überlebende Adolek Kohn mit seinen Kindern und Enkeln vor den Toren von Auschwitz und Dachau. Der Tanz versteckt sich nicht hinter erklärenden Worten, sondern offenbart Überzeugungen, die sich unmittelbar mitteilen. Die inspirierend entworfene Ausstellung blickt auf die Vergangenheit und gibt doch eine Vorstellung von den Möglichkeiten, die sich dem Tanz als politischem Beweger für die Zukunft eröffnen.
„Das Echo der Utopien“ | bis 14.8.16 | Deutsches Tanzarchiv Köln, Mediapark 7 | 0221 88 89 54 00
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