Das Vakuum, das der Tod von Pina Bausch 2009 riss, war gewaltig. Mehr als zehn Jahre taumelte ihr renommiertes Tanztheater Wuppertal vor sich hin. Zwei Direktorinnen, Auguste Binder und Bettina Wagner-Bergelt hat die Institution innerhalb der letzten fünf Jahre gesehen. Nun kommt mit Boris Charmatz zu Beginn der Spielzeit 22/23 endlich der renommierte Choreograph, der es richten soll. Eine Findungskommission aus Stadt, Land und Theater haben sich nach langer Suche und vielen Gesprächen einstimmig auf den 48-jährigen Franzosen geeinigt. Die Stadt Wuppertal attestiert Boris Charmatz „Mut und eine starke künstlerische Arbeit, in der er sich immer wieder neu erfindet, strategische Klarheit, Sensibilität und Respekt für das herausragende Werk von Pina Bausch und das Ensemble“.
Vor allem letzteres fanden die Kommission bei dem klassisch ausgebildeten Charmatz offenbar bestätigt: Er leitetet nicht nur von 2009 bis 2018 das Centre Choréographique de Rennes et de Bretagne, sondern verband es mit dem Kollektiv seines „Musée de la Danse“, das zahlreiche funkelnde Schätze der Tanzgeschichte ans Licht holte. Es dürfte diese programmatische Doppel-Geste von Charmatz gewesen sein, die ihn zum Favoriten gemacht hat: Bewahrung des Erbes und experimentelle Zukunftsarbeit. Charmatz ist zudem ein politisch denkender Künstler, der sich in seinen Arbeiten gerne mit gesellschaftlichen Bewegungskräften auseinandersetzt. Gut in Erinnerung sind seine Arbeiten im öffentlichen Raum wie „levée des conflits“ bei der Ruhrtriennale 2013 oder „10 000 gestures“ beim gescheiterten Berliner Volksbühnen-Experiment von Chris Dercon.
Mit Charmatz ist Wuppertal nun endlich der Schachzug gelungen, auf den man lange gehofft hat. Zugleich wurden weitere Neuerungen bekannt: Die von Bauschs Sohn Salomon geleitetet Pina Bausch-Foundation hat ihr Archiv geöffnet und gewährt onlinefreien Zugang zu zahlreichen Originalquellen wie Fotos, Filmen und Programmheften aus dem Schaffen der großen Choreographin. Zugleich wurde Bettina Milz, bisher im Ministerium für Kultur und Wissenschaft tätig, zur Koordinatorin für den Vorlauf des 2027 an den Start gehenden Pina Bausch Zentrums berufen. Viel Neues in Wuppertal.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Gegenwart einer Gegenkultur
„Pump Into The Future Ball“ in der Jahrhunderthalle Bochum – Tanz an der Ruhr 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23