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Therese Kah und Merle Bösing
Foto: Jan Turek

„Uns läuft die Zeit davon. Der Elefant im Raum wird ignoriert“

26. Juni 2019

Zwei Aktivistinnen von Fridays for Future über globale Verantwortung

trailer: Fridays for Future hatte den Plan, die Europawahl zur Klimawahl zu machen. Ist das geglückt?

Therese Kah (TK): Ich glaube schon. Menschen haben gezeigt, dass ihnen das Thema wichtig ist. Es ist ein Signal an die sogenannten Volksparteien gegangen, dass es ein Thema ist, das sie nicht länger ignorieren können. CDU und SPD werden sich erst bewegen, wenn sie Angst haben müssen und ich hoffe, dass sie jetzt welche haben. Ich glaube die Grünen waren Nutznießer von uns. Aber wir kritisieren auch die Grünen, weil sie uns teilweise nicht konsequent genug sind und sich manchmal grüner geben als sie sind.

Es wird oft hervorgehoben, dass Fridays for Future überparteilich ist. Warum?

Merle Bösing (MB): Wir kritisieren alle Parteien. Wenn wir uns die Programme anschauen, finden wir sie alle nicht ausreichend um effektiv Klimaschutz zu betreiben. Weil Klimaschutz jeden etwas angeht, versuchen wir, wirklich jeden zu erreichen, weil im Endeffekt auch jeder leidtragend sein wird.

TK: Unser Ziel ist es, jede Partei zu einem grüneren Programm zu zwingen. Es geht darum, dass sich alle Parteien bewegen. Veränderungen kann man nur durch einen gesellschaftlichen Konsens erreichen und deswegen braucht man alle Parteien.

Christian Lindner versuchte, eurer Bewegung die Kompetenz abzusprechen und nannte den Klimaschutz eine „Sache für Profis“. Die Scientists for Future geben jedoch euch recht.

MB: Wir verweisen ja nur darauf, was die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten sagt. Wir sorgen dafür, dass die Wissenschaftler jetzt endlich gehört werden. Gleichzeitig geben sie uns Rückenwind.

Gibt es konkrete Forderungen für das Ruhrgebiet? Was würdet ihr zum Beispiel dem Dortmunder Oberbürgermeister gern sagen?

TK: Ich würde ihn fragen, was er im RWE-Aufsichtsrat macht. Wir haben, im Gegensatz zu unseren bundesweiten Forderungen, keine offiziellen Positionen für das Ruhrgebiet. Aber die beiden wichtigsten Punkte, die auch auf kommunaler Ebene gelöst werden können, sind Mobilität und Energie.

Was kann die Politik für klimafreundliche Mobilität tun?

TK: Der öffentliche Verkehr und der Radverkehr müssen gefördert werden. Autofahren muss unbequem werden und alternative Fortbewegungsmittel müssen stark erleichtert werden: Tempo 30 in Städten, Wegfallen von Parkplätzen in der Innenstadt, mehr Platz für sicheren Radverkehr, den Ausbau von ÖPNV, kostenlosen ÖPNV. Das alles sind mögliche Maßnahmen. Es geht darum, dass man sich ein Konzept überlegt, wie man Menschen dazu kriegt, umzusteigen vom Auto. Wir müssen vom Individualverkehr wegkommen. Einerseits bedeutet das, positive Anreize zu schaffen aber auch andererseits, es schwieriger zu machen, Auto zu fahren. Ich finde es ist okay, Menschen dazu zu bringen, aufs Auto zu verzichten, denn es hat Auswirkungen, die uns alle betreffen. Ich bin nicht bereit, auf den feuchten Auto-Traum eines 60-Jährigen Rücksicht zu nehmen, der bereit ist, meine Zukunft zu zerstören. Ich finde aber, wir sollten nicht mit dem anklagenden Zeigefinger kommen. Mir ist es super wichtig, genau jene Menschen für uns zu gewinnen, die im Moment zum Beispiel noch einen SUV fahren, weil auch diese Menschen ein Teil dieser positiven Veränderung sein können. Ich möchte, dass sie sich nicht von mir angegriffen fühlen, sondern verstehen, dass es eine Einladung ist, Teil von etwas Neuem zu werden.

Das heißt, individuelle Opfer muss jeder bringen?

TK: Ich glaube, die allermeisten Menschen stehen nicht gerne täglich zwei Stunden auf der A1 im Stau. Im Moment macht ÖPNV zwar auch keinen Spaß, aber das könnte anders werden. Wir müssen wegkommen von der Idee, dass es ein großer Verzicht ist. Wir können glücklicher Leben, wenn wir unsere Prioritäten anders setzen.

Kann die Lösung auch in technischen Innovationen liegen?

TK: Es gibt die Technologien schon. Die FDP tut immer so, als müsse man erst mal Lösungen finden und es würde an der Technologie scheitern. Aber es scheitert am politischen Willen. Das ist ein Ablenkungsmanöver.

Und was ist mit der Energie?

TK: Die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung wird zum Teil von Innogy, einer direkten Tochter von RWE, besessen. Viele Kommunen halten Aktienanteile an RWE, aber nicht so viele, um wirklich etwas verändern zu können. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Energieversorgung kommunalisiert wird. Jede Stadt kann so mit ihren lokalen Stadtwerken auf grüne Energie setzen und dabei auch die Bürger und Bürgerinnen mit einbeziehen.

Fridays for Future fordert CO2-Neutralität bis zum Jahr 2035. Sind wir auf einem guten Weg?

MB: Es ist nicht alles verwerflich, was im Moment in der Politik getan wird. Es werden Maßnahmen ergriffen. In Anbetracht des Ausmaßes, sind diese aber nicht ausreichend. Es sind kleine Schritte. Die Veränderungen müssten aber noch viel tiefgreifender sein und wirklich umgesetzt werden.

TK: Dafür sind die Scientists wichtig: Sie sagen, dass bis 2035 eine Energieversorgung aus 100% erneuerbaren Ressourcen möglich ist. Es muss nur passieren.

Was sagt ihr zu den Debatten zur CO2-Steuer und der Wirtschaft?

TK: Große Teile der Wirtschaft finden eine CO2-Steuer gar nicht schlecht. Ein kleiner Teil der Wirtschaft wird verlieren: Das sind die Energie-Riesen, die den Umstieg auf die Erneuerbaren nicht geschafft haben. Ein großer Teil der Wirtschaft wird aber profitieren und auch der Internationale Währungsfonds plädiert für eine CO2-Steuer, weil sie begriffen haben, dass es auch für die Wirtschaft enorm wichtig ist, dass wir Klimaschutz betreiben. Auf einem Schild auf einer Demo stand mal „Kaputte Welt ist auch nicht gut für die Wirtschaft.

MB: Das aktuelle Wirtschaftssystem ist auf Profitmaximierung aus. Es gibt aber einen Punkt, da gibt es keine fossilen Energieträger mehr und die Ressourcen sind ausgeschöpft. So weit wollen wir es nicht kommen lassen. Darum müssen wir jetzt schon umsteigen.

TK: Jeder Zehnjährige versteht, dass unbegrenztes Wachstum nicht möglich ist und trotzdem ist es genau das, worauf unser Wirtschaftssystem ausgelegt ist. Das ist der Elefant im Raum, den alle ignorieren. So ist unser Wirtschaftssystem nicht nachhaltig und nicht für kommende Generationen tauglich.

Oft wird mit Arbeitsplätzen, zum Beispiel in der Braunkohleindustrie, argumentiert.

TK: Wir haben 18.000 Arbeitsplätze in der Kohleindustrie. In der nächsten zehn Jahren gehen 12.000 Menschen in Rente: Es bleiben 6.000. Und in den letzten zehn Jahren wurden durch Streichungen von Förderungen der erneuerbaren Energie 80.000 Arbeitsplätze in der Solarenergie abgebaut. Deswegen halte ich das für Heuchelei. CDU und SPD interessieren sich nicht für die Arbeitsplätze. Wenn es denen wirklich um Arbeitsplätze ginge, dann würden sie in die Erneuerbaren investieren.

MB: Die Klima-Frage ist auf jeden Fall immer auch eine soziale Frage, eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir wollen sozialverträglich gestaltete Konzepte. Jobverluste sind schlimm, aber wenn aus der Alternative schwerwiegende Konsequenzen folgen, dann ist es zu kurzfristig gedacht, nur an die Arbeitsplätze zu denken.

TK: Und es ist normal, dass Industrien sterben durch eine Weiterentwicklung. Die Politik ist in der Verantwortung, diese Transformation zu gestalten. Und bei allen anderen Transformationen, im Bereich der Digitalisierung zum Beispiel, ist das für die Politik ja auch anscheinend kein Problem.

Wie sieht es mit der Verantwortung jedes Einzelnen aus? Was muss sich in der Gesellschaft ändern?

TK: Wir brauchen eine „moralische Revolution“. So drückt es das Wuppertal Institut aus. Ich glaube, dass es natürlich wichtig ist, dass wir alle auch im Privaten einen Wandel vollziehen und ich ermuntere jeden, im Rahmen seiner Möglichkeiten, klimafreundlich zu leben. Aber es muss auch ganz klar sein, dass es die Aufgabe, der Politik ist, Gesellschaft zu gestalten und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen grünes Verhalten überhaupt erst möglich wird. Ich finde es krass, dass die Unternehmen und Politiker es geschafft haben, diese Verantwortung so auf den Einzelnen abzuschieben. Die Politiker müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und nicht den Bürgern sagen „Fahr doch einfach Fahrrad. Ich glaube, was der einzelne tun kann, ist in erster Linie politisch aktiv zu sein. Wenn jemand mich fragen würde „Was kann ich denn für den Klimaschutz tun?, dann würde ich sagen „Geh auf die Straße.

Genau das tut ihr mit Fridays for Future und bekommt dafür viel Aufmerksamkeit. Was wird getan, um diese Aufrecht zu erhalten?

MB: Wir werden mittlerweile gehört, erhalten viel Schulterklopfen und viel Zuspruch. Aber wir sehen nicht, dass sich was verändert. Und deshalb machen wir so lange Druck, bis ich wirklich etwas tut. Wir streiken in einigen Städten wie Dortmund weiterhin jeden Freitag, in anderen Städten monatlich. Und wir setzten immer wieder Akzente mit Großdemos.

TK: Ich persönlich kann mir vorstellen, dass es zu mehr zivilem Ungehorsam kommen wird. Merle und ich waren zum Beispiel am Wochenende der Europawahlen in Brüssel und haben da, zusammen mit anderen Menschen, den Platz vor dem Europaparlament besetzt. Eigentlich darf dort nicht demonstriert werden. Wir haben letztendlich sogar dort übernachtet. Es war symbolisch sehr schön, mit jungen Menschen aus der ganzen EU am Sonntagmorgen vor dem Parlament aufzuwachen. Solche Besetzungen von öffentlichen Orten kann ich mir sehr gut vorstellen. Uns geht es aber nicht darum, Radau zu machen. Ich glaube, einen großen Teil der Bevölkerung haben wir eigentlich schon, zumindest theoretisch, auf unserer Seite.

Manche Menschen kritisieren noch immer, dass ihr nicht samstags demonstriert. Warum macht ihr das nicht?

MB: Wir machen es nicht am Samstag, weil wir sonst die Medienwirkung nicht hätten. Es scheint unser einziges Druckmittel gegenüber der Politik zu sein, mit dem wir etwas bewegen können. Daher auch der Begriff Schulstreik: Wir müssen etwas machen, das unangenehm ist, nach dem Motto „Wir machen unsere Hausaufgaben wenn ihr eure macht

Therese, in einer Talkshow von Anne Will mal gesagt, dass Du dich von der Politik nicht ernst genommen fühlst. Hat sich das geändert?

TK: Ich glaube, dass die öffentliche Debatte inhaltsreicher geworden ist und sich weniger um Schulschwänzen dreht. Im Moment wird ja zum Beispiel die CO2-Steuer diskutiert. Das ist wichtig. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass man in der Politik verstanden hat, worum es geht und ich kann es mir eigentlich nicht erklären. Ich habe da keinerlei Verständnis für, denn die sind ja nicht dumm. Die müssen das doch auch verstehen. Letztendlich nehmen sie nicht nur uns, sondern auch die Wissenschaft, nicht ernst. Das ist unheimlich bitter, denn die Folgen werden dramatisch sein.

An welche Folgen denkt ihr?

MB: Man sieht sie schon jetzt: Naturkatastrophen, Hitzewellen, Dürren, den Anstieg des Meeresspiegels. Noch erleben wir das in Europa gar nicht so stark. Ärmere Länder im globalen Süden sind davon stärker betroffen. Und es wird sich steigern, durch Prozesse, die sich selbst verstärken. Es gibt Kipppunkte, die wir nicht erreichen dürfen. Um das zu verhindern, müssen wir drastisch unsere Emissionen verringern.

TK: Auch darum sind die Scientists so wichtig. Sie zeigen, dass es keine Panikmache ist, sondern können unsere Aussagen mit Daten belegen. Es ist wichtig, sich die Länder im globalen Süden in Erinnerung zu rufen: sie haben es nicht ausgelöst, leiden aber zuerst darunter. Daraus leitet sich eine enorme Verantwortung für Deutschland und Europa ab, so schnell wie möglich, und früher als der ursprüngliche Zeitplan besagt, klimaneutral zu werden, um dieser Verantwortung anderen Ländern gegenüber gerecht zu werden. Man muss den Menschen aber auch zeigen, was das konkret für Deutschland bedeutet: Bei ansteigenden Temperaturen haben wir einen Anstieg von Hitzetoten. Es sterben in Deutschland Menschen aufgrund der verfehlten Politik der letzten Jahre. Und bei drei Grad Erderwärmung schmelzen die Gletscher in den Alpen und unsere Flüsse vertrocknen. Die Menschen verschließen noch immer die Augen davor, dass es ihr Leben ganz direkt beeinträchtigen wird. Man muss sich diese Auswirkungen bewusst machen: Die Naturkatastrophen werden öfter, intensiver und fordern Menschenleben. Uns läuft die Zeit davon und jetzt muss etwas Drastisches geschehen. Wir gehen nicht auf die Straße um irgendwelche Blümchen zu retten, sondern wir wollen Menschenleben schützen. Das erscheint mir so selbstverständlich und es macht mich so wahnsinnig, dass das in der Politik nicht auch selbstverständlich zu sein scheint.

Seid ihr trotzdem optimistisch?

MB: Wenn wir nicht irgendwo noch einen Funken Hoffnung hätten, würden wir nicht jeden Freitag auf der Straße stehen. Es ist wichtig, sich dem nicht nur hinzugeben, sondern zu gucken, wo man gerade was tun kann.

TK: Ich finde es wirklich schwer, optimistisch zu bleiben, wenn man sieht, wie bereits jeden Tag Menschen aufgrund der Klimakrise sterben. Ich weiß nicht, ob es den Menschen hier zu weit weg ist, ob die nicht begreifen, dass es auch ihre Eltern, ihre Kinder und ihre Geschwister sein könnten. Zu sehen, wie das niemanden juckt: das macht mich manchmal richtig fertig. Und es gibt Momente, da denke ich mir, „Scheiß drauf und genieß die letzten 30 Jahre. Aber letztendlich macht man sich ja mitschuldig, wenn man nichts machen würde. Gerade deswegen ist es auch wichtig, sich anzugucken, was Fridays for Future bereits erreicht hat. Und das ist gar nicht so wenig. Es ist natürlich nicht, was wir uns erhofft hatten, nämlich ein echtes Handeln der Politik. Aber das Thema ist auf der Tagesordnung und im Bewusstsein der Menschen. Es war ein wahlentscheidendes Thema für viele. Das muss jetzt so weitergehen. Und wenn wir es schaffen, diese Aufmerksamkeit hochzuhalten, dann gibt es auch eine Chance auf Veränderung.

Interview: Jan Turek

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