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Zwischen Natur und Kunst
Foto: nicolas / Adobe Stock

Vom Mythos zur Mülldeponie

29. August 2024

Teil 1: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf

Nachdem sie die Titanen besiegt hatten, teilten die Brüder Zeus, Hades und Poseidon die Welt unter sich auf. Zeus bekam die Oberherrschaft über den Himmel, Hades über die Unterwelt und Poseidon über das Meer. Die Welt der Menschen untersteht zwar keiner absoluten Hoheit, doch außerhalb ihrer hat der Mensch nichts zu melden. Um in den Himmel oder in die Unterwelt zu gelangen, muss er in der Regel tot sein. Einzig aufs Meer kann er freiwillig fahren. Zwar bleibt er an der Oberfläche, wenn er in See sticht, doch ist dieser Stich ein Eindringen in Poseidons Reich, und dort ist der Mensch dem Gott schutzlos ausgeliefert.

Die See – eine wilde Braut?

Jahrhunderte später nimmt keiner mehr an, dass in den Tiefen des Meeres ein Dreizack schwingender Gott wohnt. Stattdessen lauern dort Wale, Riesenkraken und andere Seeungeheuer. Darüber hinaus locken Sirenen, Klabautermänner wollen einen holen. Ja, die See ist eine wilde Braut. Und Bräute wollen erobert werden – dachte man zumindest. Von den Geisterschiffen an der Oberfläche und den Stürmen, die die See aufwühlen, ganz zu schweigen. (Besonders letztere machen sich als großformatige Gemälde gut im Kaminzimmer.) Man – das ist vor allem Mann – hängt dieser abenteuerlichen Mischung aus Geltungsbedürfnis, Hybris und Dummheit an. Dass man damit auch im maritimen Sinne falsch lag, zeigt die nach und nach einsetzende Aufklärung über jene vermeintlichen Schauergestalten aus der Tiefe.

Ein paar weitere Jahrhunderte später sind immer noch mehr als 90 Prozent der Ozeane quasi unerforscht. Allein im Jahr 2014 wurden über 1.400 maritime Arten neu beschrieben. Man geht davon aus, dass es noch bis zu zwei Millionen unentdeckte Meeresbewohner gibt. Selbst bei aktuellem Tempo dauert es also noch mehr als 300 Jahre, um sie alle zu finden. Ein trauriger Lichtblick für ungeduldige Sammler: Vielleicht sterben täglich mehr Arten aus, als entdeckt werden. Denn wir mögen die See weder wirklich kennen noch erobert haben – es hindert uns nicht daran, so zu tun als ob.

Sonnendeck und Eisberge

Der Brite Granville Bantock schuf mit der „Hebridean Symphony“ ein musikalisches Gemälde, das den vielschichtigen und wechselhaften Charakter des Meeres abbildet. Wellen plätschern, Nebel zieht auf, Wellen rauschen, ein Gewitter zieht auf, Wellen toben. Schiffe legen auf, ab und es darauf an, andere in der Schlacht zu besiegen. Das war der Mensch und das Meer, noch in den 1910ern.

Nur fünfzig Jahre später tönt es aus amerikanischen Radios: „Let’s go surfin now / Everybody’s learning how“. Die Beach Boys reiten total die Welle des surf craze. Segeln wird zum Sport, den sich allmählich sogar die Mittelklasse leisten kann, und 1991 wurde das Gemälde vom Schiff im Sturm mit einer Südseestrandfototapete überklebt. Wer heute an Schiffe denkt, hat eher das Sonnendeck der Aida vor Augen, nicht die Eisberge, die Sir Shackletons Expeditionsschiff Endurance zermalmten. Die See wurde immer noch nicht erobert, sie wurde gekidnappt und wird verschachert, ausgenutzt, erniedrigt und zwangsprostituiert.

Auch die Kunst hat sich verändert. Sie zeigt nicht nur, sie will mahnen. An Zyperns Stränden haben die Mülleimer für Plastikflaschen Fischform. Besser der Metallfisch am Strand hat’s im Magen als der echte im Wasser. Aber ich befürchte, die meisten Zypern-Urlauber erkennen den Zynismus dieser praktischen Installation nicht. Oder ich interpretiere zu viel hinein. So ist das mit der Kunst. Aber wie hilft das dem Meer?

Marek Firlej

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