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Vier Besatzungsmächte in Adventsstimmung
Abb:. Sven Siebenmorgen

Von Netzen, Fischen und Fischern

24. November 2011

Die Märkte für Energie und Telekommunikation sind im Umbruch – THEMA 12/11 DIE NETZE

Die bunte Werbewelt macht es uns vor. Es ist ganz einfach. Als Verbraucher kann ich mich je nach Bedarf häuten und so mit immer neuen Identitäten ausstatten. Bin ich Vielsurfer, nehme ich den Vielsurfertarif. Bin ich Vielsimser, nehme ich den Vielsimsertarif. Und bin ich ein verstaubter Vieltelefonierer, dann ist die Telefon-Flatrate mein Ding. Bin ich Grüner, nehme ich grünen Strom, bin ich Gelber, nehme ich gelben Strom. Der Markt der Netze passt sich dem Individuum an, so die frohe Botschaft. Wer allerdings das Werbegedudel der Anbieter bereits als Hintergrundrauschen unserer Medienwelt empfindet, dem mag klar werden, dass die Netzbetreiber der verschiedenen Branchen in Wirklichkeit Menschenfischer sind. Jesus am See Genezareth war ein Waisenknabe gegen die Telekommunikations-, Gas- und Stromanbieter der Gegenwart. Früher gab es Stadtwerke und Post, heute lärmt das Gewimmel der Daseinsversorger. Wer nicht den günstigsten Tarif nutzt, ist ein Depp, lautet der Subtext der Inszenierung. Natürlich wäre es töricht, die neugewonnene Liberalität des Marktes nicht zu nutzen und einfach beim erstbesten und oft teuersten Lieferanten zu bleiben. Aber ist Geiz wirklich immer geil?

Der Markt für Internetverbindungen ist verhältnismäßig jung. Als er vor etwa 15 Jahren ein breites Publikum erreichte, konnte man oft nur zwischen dem damals noch staatsmonopolistischen Unternehmen T-Online und dem US-amerikanischen Onlinemulti wählen. Inzwischen gibt es den Draht zum weltweiten Netz von Hinz und Kunz via Kabel, Stromkabel und Funk. Im Ruhrgebiet sind flächendeckend die Formel 1-schnellen Verbindungen verfügbar. Die Preisspanne allerdings ist enorm. Nicht jeder Billigheimer bietet aber den gleichen Service wie die Qualitätsanbieter. Manchmal lohnt sich ein Tarif, der pro Monat für den Gegenwert einer Zigarettenschachtel teurer ist, wenn man dafür bei auftretenden Problemen tatsächlich Linderung oder gar Heilung erfährt. Wer schon mal Stunden an der heißen Leine eines Providers wie ein gefangener Fisch gezappelt hat, um nach etlichen Wutausbrüchen zu erfahren, dass der Netzausfall zurzeit nicht zu beheben ist, der wird dem zustimmen. Billig ist nicht immer gut.

Die „vier Besatzungsmächte“ teilten sich den Strommarkt weitestgehend unter sich auf
Komplett anders verhält es sich beim Energiemarkt. Während das Staatsmonopol des Fräuleins vom Amt erst in den letzten Monaten der Regierung Kohl Anfang 1998 aufgehoben wurde, war der Energiemarkt faktisch seit Anbeginn in den Händen der Konzerne. Die Wiege des europäischen Stromnetzes stand übrigens im Ruhrgebiet. Die Industriellen Hugo Stinnes und August Thyssen kauften 1902 das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk und bauten ein flächendeckendes Netz auf. Dabei beteiligten die RWE aus Essen zwar die betroffenen Kommunen, die ökonomische Macht allerdings blieb in der Konzernzentrale. Im östlichen Ruhrgebiet versuchten die zunächst nur in städtischem Besitz befindlichen Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen, der Macht aus Essen etwas entgegenzusetzen. Die knapp hundertjährige Konkurrenz zwischen RWE und VEW endete im Jahr 2000 mit der Fusion der beiden Firmen. VEW ist inzwischen Geschichte und RWE einer der größten Energieversorger Europas und der zweitgrößte Deutschlands. Der größte nichtstaatliche Energiekonzern der Welt residiert übrigens im benachbarten Düsseldorf. E.ON ging im Jahr 2000 unter anderem aus den Konzernen VEBA, VIAG, Preußen Elektra und Bayernwerk hervor. Mit Vattenfall und EnBW waren RWE und E.ON bis vor kurzem die alleinigen Besitzer der Hochspannungsnetze Deutschlands. Die von Fachleuten so genannten „vier Besatzungsmächte“ teilten sich den Strommarkt weitestgehend unter sich auf. Durch den Siegeszug erneuerbarer und dezentraler Energien und auch durch Gründung der Bundesnetzagentur, die die Stromkabelbesitzer kontrolliert, hat sich der Markt seit etwa sechs Jahren geöffnet. Je nach Kommune kann der Konsument aus 70 bis 100 Anbietern auswählen. Wären nicht gerade bei älteren Menschen psychologisch begründbare Hemmnisse vorhanden, der Wettbewerb würde funktionieren, und der Strompreis für den Endverbraucher könnte tatsächlich fallen. Bis jetzt aber haben nur etwa zehn Prozent der Bundesbürger ihren Stromversorger gewechselt.

Die großen Energiekonzerne befinden sich trotzdem in rauer See. Die steigenden Abgaben auf Kohlendioxidemission setzen den Betreibern fossiler Kraftwerke zu. Die doppelte Energiewende der Bundesregierung in Bezug auf Atomkraft zerstört eine weitere sichere Einnahmequelle der großen Vier. Nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg im vergangenen Mai steht einer der Besatzungsmächte, die EnBW, quasi unter grüner Verwaltung. Und die Krise der Riesen zeigt erste Auswirkungen. E.ON hat angekündigt, neben den Standorten München und Hannover auch seine Gaszentrale in Essen zu schließen. Während die Mitarbeiter von E.ON um ihre berufliche Zukunft zittern, teilt der Konzern mit, gigantische Investitionen in Indien, Brasilien und der Türkei zu tätigen. Der heimische Energiemarkt aber ist durch kritischer werdende Verbraucher und viele neue Kleinerzeuger wohltuend unübersichtlich geworden. Vielleicht gelingt sie tatsächlich noch, die Demokratisierung der Netze.

LUTZ DEBUS

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