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Ronald Blaschke
Foto: Fiona Krakenbürger

„Weniger erpressbar und damit mutiger“

24. November 2021

Autor Ronald Blaschke über ein bedingungsloses Grundeinkommen – Teil 3: Interview

trailer: Herr Blaschke, Sie setzen sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ein. Warum?

Ronald Blaschke: Ich komme aus der Philosophie und da wird eben auch über den Stellenwert von Tätigkeiten nachgedacht, von Erwerbsarbeit etwa. Dazu erzähle ich gerne eine Geschichte: Ich saß mit einer Landtagsabgeordneten zusammen, wir wollten gemeinsam einen Termin zur Organisation einer Armutskonferenz in Sachsen finden und stellten fest: Beide Kalender waren gleich voll. Sie bezog damals Diäten, während ich erwerbslos war und regelmäßig beim Arbeitsamt vorstellig werden musste, um nachzuweisen, dass ich dabei war, mir einen Job zu suchen. Gleichzeitig hatte ich aber einen vollen Terminkalender, weil ich politisch engagiert war. Das war der Knackpunkt zu sagen: Eigentlich müsste man über den Stellenwert von Erwerbstätigkeiten und anderen Tätigkeiten nachdenken. Wie gleichwertig und wichtig sie einerseits für die Gesellschaft sind, und wie ungleich sie behandelt werden, wenn verschiedene Menschen in verschiedenen sozialen Positionen sie ausführen. Damit Menschen sich politisch, ehrenamtlich, bürgerschaftlich betätigen können, brauchen sie Zeit und eine materielle bedingungslose Absicherung, um nicht erpressbar zu sein – genau dafür sind Diäten ja da, damit man selbstständig existenziell abgesichert ist und sich nicht abhängig machen muss. Das Grundeinkommen ist eine Diät light für alle.

Was ist unter einem BGE zu verstehen?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist ein Einkommen für alle Menschen, individuell garantiert, ohne jeden Zwang zur Arbeit oder Gegenleistung, ohne eine Bedürftigkeitsprüfung. Man erhält es, einfach weil man ein Mensch ist. Es sichert die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Wir setzen dafür die jeweilige nationale Armutsgrenze an, also für Deutschland derzeit 1200 bis 1300 Euro netto monatlich.

Sofort eine Kindergrundsicherung einführen“

Mit „Wir“ meinen Sie die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen, in der sie aktiv sind. Die hat die mutmaßlichen zukünftigen Regierungsparteien aufgefordert, eine Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen. Wie könnte die aussehen?

Unsere Anforderung an die mutmaßlichen Koalitionäre lautet, sofort eine Kindergrundsicherung einzuführen. Dazu muss man wissen, dass es bereits bei SPD, Grünen und Linken Kindergrundsicherungskonzepte gibt. Die FDP hat keins. Die Konzepte der beiden voraussichtlichen Koalitionsparteien unterscheiden sich kaum: Man verallgemeinert das Kindergeld, schafft also den Kinderfreibetrag ab, bündelt Sozialleistungen und gibt allen Kindern den gleichen Sockelbetrag – bei der SPD 250 Euro, ähnlich bei den Grünen – plus einen Zuschlag für Ärmere. Das ist aber viel zu gering, deswegen kann der Sockel für alle nur als ein partielles Kindergrundeinkommen bezeichnet werden. Die Zuschläge für Ärmere wiederum sind mit gesonderten Anforderungen und Berechnungen verbunden, spalten außerdem die Gesellschaft in Kinder mit armen Eltern und Kinder mit reichen Eltern. Wir haben nun in einem Schreiben an SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und in einer Pressemitteilung gefordert: Kindergrundsicherung sofort einführen, die Einführung eines armutsfesten Kinder- und Jugendgrundeinkommens und eines Grundeinkommens für alle in den Koalitionsvertrag schreiben, ebenso die Beförderung der Einführung von Grundeinkommen in der EU. Wir, also die 38 Verbände, Netzwerke, Parteien, Zusammenschlüsse in Parteien und Initiativen in Deutschland, haben zum Ziel, das Grundeinkommen in allen Ländern der EU eingeführt werden. Dafür streiten mit uns gemeinsam Netzwerke und Initiativen in 25 EU-Ländern. Die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen braucht noch viel Unterstützung zur Erreichung des Ziels. Diese kann mit einer Unterzeichnung der EBI Grundeinkommen erfolgen.

68 Prozent der Familien, die Anspruch auf Kinderzuschlag haben, nehmen ihn nicht in Anspruch“

Wie schätzen sie die Chancen ein, dass die kommende Bundesregierung das umsetzt?

Die FDP wird sich bezüglich einer Kindergrundsicherung nicht querstellen, weil ja mit der Kindergrundsicherung eines verbunden ist: Indem man die verschiedenen kindbezogenen Leistungen, wie Kinderzuschlag, Kindergeld, Steuerfreibetrag für Kinder und Sozialleistungen für Kinder in dieser neuen Leistung zusammenfasst und weitgehend automatisiert auszahlt, kann eine gewisse Entbürokratisierung stattfinden, also etwas, das sich auch die FDP auf die Fahne geschrieben hat. Man muss wissen, dass der bestehende unübersichtliche und komplizierte Mix von verschiedenen kindbezogenen Leistungen zu furchtbaren Verlusten führt: Das Geld kommt nicht dort an, wo es hingehört. 68 Prozent der Familien, die Anspruch auf den Kinderzuschlag hätten, nehmen ihn nicht in Anspruch. Das hängt mit der Unübersichtlichkeit und den mit dieser Leistung verbundenen stigmatisierenden Bedürftigkeitsprüfungen zusammen. Die FDP wird sich aber gegen die Einführung eines ausreichenden Kindergrundeinkommens und eines armutsfesten Grundeinkommens für alle stellen. Ich vermute weite Teile der SPD auch. Denn insbesondere diese beiden Parteien hängen einem traditionalistischen Verständnis von Arbeit an. Für sie ist Arbeit lediglich Lohn- bzw. Erwerbsarbeit. Und ohne diese sind die Menschen weniger wert, egal, was sie für sinnvolle und gesellschaftlich notwendige Dinge tun – ohne bisher Geld dafür zu bekommen. Das Grundeinkommen befördert als bedingungslos gezahlte Ermöglichungspauschale die Aufwertung dieser bisher unbezahlten Tätigkeiten und befördert ebenso die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, um ausreichend Zeit für diese anderen Tätigkeiten zu haben.

Hier stehen sich Gerechtigkeitsvorstellungen gegenüber“

Die Generationen U40 sehen sich dem Ende des Versprechens gegenüber, dass es jeder Generation besser gehen soll als der vorigen. Wo stehen die Jüngeren in Fragen wie Umverteilung oder Wirtschaftsmodellen?

Was die Frage der Wirtschaftsform betrifft, ob es nun eine bedarfsorientierte oder eine profitorientierte Ökonomie sein soll, ist die Jugend sehr geteilt. Jugendforschungsinstitute haben sicherlich aussagekräftigere Erkenntnisse zu dieser Frage. Wenn ich mich in der Degrowth-Bewegung oder bei Fridays for Future umhöre, dann herrscht dort die Meinung vor, dass wir eine Ökonomie brauchen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und die nicht Bedürfnisse erzeugt, um Profite zu generieren. Wenn ich in einer Veranstaltung der Jungen Liberalen fragen würde, würde sich ein anderes Bild ergeben. Ebenso differenziert ist die Einstellung zur Umverteilung, auch zum Grundeinkommen. Jüngere neigen eher zu einer Befürwortung des BGE, dies aber in Abhängigkeit von Bildungsgrad, Einkommen und den jeweils vertretenen Gerechtigkeitsnormen. Wenn ich „leistungsorientiert“ bin und meine, nur wer etwas leistet, hat Anspruch auf eine gesicherte Existenz und mögliche gesellschaftliche Teilhabe – was als Leistung gilt, ist dann nochmal eine ganz andere, umstrittene Frage –, dann habe ich ein Problem mit dem Grundeinkommen. Oder ich sage: Der Mensch hat das Recht auf eine existenzielle Grundabsicherung, die seine grundlegenden Bedarfe absichert, vor jeglicher Leistung, einfach weil er Mensch ist. Hier stehen also Gerechtigkeitsvorstellungen und Normative wie Leistungsgerechtigkeit gegen Bedarfsgerechtigkeit gegenüber. Der Witz ist, dass es gute Gründe gibt zu sagen: Wessen grundlegenden Bedarfe bedingungslos abgesichert sind, dessen Fähigkeits- und damit auch Leistungsentwicklung ist viel freier und nachhaltiger möglich. Über die Frage, was eigentlich Leistung ist, muss dann noch gesondert diskutiert werden.

nur wer bedingungslos materiell abgesichert ist, kann Verantwortung fürs eigene Tun übernehmen“

Mit der sich abzeichnenden Koalition kommt eine neue Generation in Regierungsverantwortung, die mit der Idee eines BGE quasi aufgewachsen ist. Könnte sich damit ein Fenster öffnen?

Das BGE wirkt ja de-kommodifizierend, das heißt: Ich bin nicht gezwungen, meine Arbeitskraft zu verkaufen, zur Ware machen, nur um ein relativ gutes Leben zu führen. Das ist ein radikaler Angriff auf die derzeitige Vermarktung menschlichen Daseins, das darf man nicht vergessen. Robert Habeck und Annelena Baerbock haben sich offen dafür gezeigt, auch wenn Baerbock lange dagegen war, etwa bei Grundsatzdebatten der Grünen. Zumindest aber verstehen sie, dass es ein Ausbruch aus einer bestimmten Logik ist und den Leuten mehr Freiräume geben würde. Selbst der Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, sagt, lasst uns mal über ein Sabbatical-BGE, also ein Grundeinkommen für Aus-Zeiten aus dem Beruf, nachdenken. Da hätte er viel Unterstützung der Linken. Es gibt also Überlegungen, das Gesellschafts- und Sozialsystem menschenfreundlicher zu gestalten und etwas zu dekommodifizieren. Die FDP lehnt dagegen das BGE strikt ab. Armut abzuschaffen ist ebenfalls für sie kein Thema. Ein armutsfestes Grundeinkommen wäre gefährlich, denn dann könnte man ja nicht mehr von jedem so vehement eine Marktleistung einfordern. Darüber hinaus wäre die Eigenverantwortung jedes Einzelnen gestärkt, denn nur wer bedingungslos materiell abgesichert ist, kann wirklich Verantwortung fürs eigene Tun übernehmen.

Wenn ich eine sozialökologische Transformation angehe, wird vieles unangestrengter“

Die ökologische Transformation bedeutet große Anstrengungen. Würde ein BGE diese Konflikte verstärken?

Tatsächlich ist es andersherum: Wenn ich eine sozialökologische Transformation angehe, wird vieles unangestrengter. Denn wir müssen ja weniger produzieren. Dann haben wir viel mehr Zeit für Muße und fürs Engagement in der Familie, im sozialen oder politischen Bereich. Wir wissen, dass Länder, in denen die Arbeitszeiten kürzer sind, einen geringeren ökologischen Fußabdruck haben. Im Umkehrschluss: Wer ernsthaft Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen reduzieren will, muss weniger produzieren (degrowth), dafür hat er mehr Zeit und Lebensgenuss (growth). Das BGE befördert diesen Prozess. Dazu kommt: Die Umwelt und sozialen Verhältnisse würden gesünder sein. Dadurch könnte man viele Kosten einsparen. Das derzeitige System ist ja ineffektiv und ineffizient zugleich: Wir machen vieles kaputt, die Natur, die Menschen, um es hinterher wieder aufwändig in den Griff zu bekommen bzw. zu reparieren; Stichwort Ausgaben für den Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, Stichwort Zivilisationskrankheiten. Das heißt, es würden Gelder und Zeiten frei werden, um etwas Sinnvolles damit zu machen: gemeinwohlförderliche Infrastrukturen und Dienstleistungen, Grundeinkommen für alle, Gesundheitsvorsorge, Kultur, Bildung, Demokratieförderung usw.

Disruptionen können dazu führen, dass Dinge, die absolut unrealistisch erscheinen, plötzlich umgesetzt werden können“

Also könnte ein BGE die Transformation fördern?

Erstens befördert das Grundeinkommen Arbeitszeitverkürzung, siehe oben. Zweitens: Wenn wir sagen, wir müssen bestimmte Jobs und Industrien abschaffen, etwa den Braunkohleabbau, dann hat man das Problem, dass Leute von der Arbeit im Braunkohletagebau leben. In diesem Fall wäre das BGE zwar nicht ausreichend, da die Kohlekumpels hohe Erwerbseinkommen haben und selbst bei Erwerbslosigkeit etwa 2000 Euro Arbeitslosengeld I bekommen würden. Da reicht das BGE natürlich nicht, um die Angst vor dem Jobverlust ganz zu nehmen. Aber ein ausreichendes Grundeinkommen, anders eben als das Arbeitslosengeld I unbefristet verfügbar, würde ein Stück weit die Angst vor diesem Bruch minimieren und damit auch der Umorientierung dienen: Was mache ich denn jetzt anderes? Wie und wo engagiere ich mich? Wie will ich mich weiter qualifizieren, in welche Richtung soll es gehen? Wir haben in der Corona-Krise gesehen, dass solche Disruptionen oder Krisen dazu führen können, dass Dinge, die politisch absolut unrealistisch erscheinen, mit einem Mal umgesetzt werden können, z. B. die Minimierung der Bedürftigkeitsprüfung und die weitgehende Nichtanwendung von Sanktionen bei Hartz IV bis hin zu bedingungslosen Geldzahlungen z. B. an Künstler*innen.

Wir müssen das BGE als globales soziales Recht denken“

Mit welchen Entwicklungen müsste es einhergehen?

Bisher habe ich vor allem eine Utopie des BGE entworfen, es gibt aber auch dystopische Ausgestaltungen, zum Beispiel: Ich speise die Bevölkerung mit einem Grundeinkommen ab, behalte aber alle politische Macht in einer Hand – inetwa wie es heute mit dem Lohn stattfindet. Das wäre eine furchtbare Dystopie. Das heißt, wir brauchen nebenher eine radikale Demokratisierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Das BGE befördert diese Demokratisierung, weil es dem Einzelnen ermöglicht, mehr Zeit zu haben, sich politisch einzubringen, auch in der Firma. Und es macht jede und jeden gegenüber dem Arbeitsplatzargument aller großen Parteien, egal wie sinnvoll oder gemeinwohlgefährlich diese Erwerbsarbeit ist, weniger erpressbar und damit mutiger. Wir müssen dasBGE auch als ein globales soziales Recht denken. Denn wenn ich es nur in Deutschland einführen würde, führte das wahrscheinlich zu einem verstärkten Migrationsproblem. Ein BGE ist immer nur ein Bestandteil von vielen weiteren Politiken, die auf ein besseres Leben für alle zielen.

Wie wäre es zu finanzieren?

Die Finanzierung des BGE ist mit einer Umverteilung von oben nach unten verbunden – ob nun über eine Finanztransaktions-, Vermögens- und verbesserte Erbschaftssteuer oder durch höhere Besteuerung der höchsten Einkommen oder der Gewinne. Da gibt es unterschiedliche Konzepte. Wichtig ist in vielen Modellen der Öko-Bonus: Gemeint ist, das CO2-intensive Produkte höher besteuert, also teurer werden. Rückerstattet wird dies als Ökobonus an alle in gleicher Höhe. Reichere verursachen aber einen höheren CO2-Ausstoß, bezahlen also mehr Ökosteuern – also ist auch hier eine klassische Umverteilung vorgesehen. Das wäre als marktwirtschaftliches Instrument Bestandteil einer ökologischen Transformation und der Finanzierung des Grundeinkommens – eigentlich ganz einfach (lacht).


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Interview: Christopher Dröge

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