Nach nur zwei Jahren müssen wir wieder zur Urne, um den Landtag neu zu befüllen. Aber wird die Wahl, die die scheidende Regierung und die Demoskopen bereits als entschieden ansehen, tatsächlich eine Bestätigung von Rot-Grün? Oft lagen Prognostiker daneben. Demokratie ist schließlich wie Fußball. Man kennt das Ergebnis erst nach dem Spiel. Gerade das Abschneiden der kleineren Parteien können die bestehenden Verhältnisse durcheinanderwirbeln. Gelingt den Piraten der Einzug in den Landtag? Und wenn ja, was bei dem aktuellen Medienhype durchaus zu vermuten ist, mit wem werden sie welche Politik machen? Wird der Koalitionsvertrag im Chatroom geschlossen? Wird der Politiker, der die meisten „Gefällt mir“-Klicks bekommt, Ministerpräsident?
Die politische Entscheidungsfindung wird inzwischen aber auch bei anderen Parteien mit der Dramaturgie einer Casting-Show zelebriert. Christian Lindner war erst Kronprinz, dann gescheiterter Königsmörder, und jetzt ist er Retter der Liberalen. Shakespeare hätte diese Rolle nicht besser kreieren können, Dieter Bohlen auch nicht. Das Publikum, in diesem Fall das Wahlvolk, prämiert solch unterhaltsame Raffinesse. Nach der Wahl des neuen Spitzenkandidaten verdoppelten sich sprunghaft die Werte der FDP auf satte vier Prozent. Da ist noch Luft nach oben.
Die LINKEN hingegen fallen in den Umfragewerten auf einen Abstiegsplatz jenseits der fünf Prozent. Hin- und hergerissen zwischen Staatsraison und Revolution pflegten sie in den vergangenen beiden Jahren eine intensive Hassliebe zu der von ihr oft tolerierten Regierung. Die ureigensten Themen der LINKEN „Nein zu Hartz IV“ und „Nein zum Krieg in Afghanistan“ kommen bei den Wählerinnen und Wählern, die letztlich zwischen Kraft und Röttgen entscheiden müssen, nicht mehr an. In unserer Mediendemokratie wirken deren Kandidaten außerdem zuweilen etwas griesgrämig.
Die Grünen indes müssen sich von ihrem Kater nach dem Allzeithoch des vergangenen Jahres erholten. Durch Fukushima und die Wahl in Baden-Württemberg wähnte man Jürgen Trittin und Claudia Roth bereits als Doppelspitze im Kanzleramt. Doch gerade deren Eitelkeiten wurden in den letzten Monaten bei den Grün-Wählerinnen und -Wählern nicht gern gesehen. Gut, dass die NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann nicht so agiert wie ein Platzhirsch oder eine Öko-Diva. Insgesamt konnten die Grünen in Düsseldorf schon viel von dem umsetzen, was sie vor der letzten Wahl versprochen hatten.
Hannelore Kraft in der Rolle einer Trümmerfrau
Und die alte Tante SPD? Die sonnt sich in den Umfragewerten. Lange Jahre wurde sie gequält von den Parteisoldaten Clement und Steinbrück. Sozialdemokratie stand für Streichung sozialer Grundversorgung. Clement macht inzwischen Werbung für die FDP, Steinbrück für Helmut Schmidt. Von der NRW-SPD haben sich beide meilenweit entfernt. Nachdem die Männer den Karren gegen die Wand gefahren hatten, musste eine Frau weitermachen. Dass das gelingen kann, weiß der politische Beobachter seit dem Ende der Ära Kohl und dem kometenhaften Aufstieg einer gewissen Angela Merkel. Hannelore Kraft und Angela Merkel sind beide Trümmerfrauen, die ihre von Männern zerbombten Parteien wieder aufbauen mussten. Hannelore Kraft allerdings gelingt diese Aufgabe sogar, indem sie dabei gelegentlich lächelt. Auch der neue Politikstil von Rot-Grün, der auf Moderation und möglichst breitem Konsens beruht, ist neu und charmant. Etwas anderes blieb der Minderheitsregierung allerdings auch nicht übrig.
Norbert Röttgen, zurzeit Bundesumweltminister und Landesvorsitzender der CDU, möchte, bis er Ministerpräsident geworden ist, Berufspendler bleiben. Sobald er in Düsseldorf Regierungschef geworden ist, verzichte er, so wird versichert, auf seinen Platz im Bundeskabinett. Inhaltlich steht die CDU für einen knallharten Sparkurs, um den Haushalt des Landes zu sanieren. Zumindest vertritt sie diese Meinung seit genau zwei Jahren. Noch an der Regierung, zeigte sie sich etwas großzügiger.
Im Ruhrgebiet tobt wegen der Frage der Finanzen auch eine heftige Auseinandersetzung. So kritisierten, pünktlich zu Beginn des Wahlkampfes, führende SPD-Oberbürgermeister den Aufbau Ost. Schwer zu vermitteln seien die Transferleistungen von völlig verarmten Kommunen im Revier zugunsten von durchaus blühenden Landschaften in den neueren Bundesländern. Dresden geht es besser als Dortmund, Leipzig besser als Essen. Trotzdem wandern die Euros nur von West nach Ost. Die Diskussion um finanzielle Unterstützung, die nicht mehr nach Himmelsrichtung verteilt werden soll, ist natürlich nur Begleitmusik im Theaterdonner des Wahlkampfes. Entscheidungen über den „Aufbau Ost“ werden in Berlin gefällt, nicht in Düsseldorf. Die Landespolitik allerdings kann trotzdem den klammen Kommunen helfen und tat dies bereits. So wünscht sich insgeheim so mancher Lokalpolitiker der CDU eine Wiederwahl von Rot-Grün. Ob es zu einer Wiederwahl der rot-grünen Landesregierung kommt, entscheidet allerdings der Souverän. Eines ist bis dahin sicher: Die Landespolitik in NRW bleibt spannend.
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