Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Sich auf die Reise begeben, bedeutet nicht für alle das Gleiche
Foto: Jiri / Adobe Stock

Wo europäische Werte enden

25. Juli 2023

Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 1: Leitartikel

Ich packe meinen Trolley, Koffer, Rucksack – und verreise nach Irgendland. Ich kann das, weil ich aus Deutschland komme und deutsche Reisende in 190 Länder der Welt ohne Visum einreisen können. Was für ein Luxus. Ob als Low-Budget-Rucksackreisende:r, Business Traveller oder Tourist:in mit großem oder kleinem Reisebudget – für uns gibt es kaum Grenzen, die Welt steht uns offen. Woher dieses Privileg kommt? Weil wir die besseren Menschen sind? Die Vorbildreisenden? Diejenigen, die Abenteuer in der Fremde erleben dürfen? Egal, warum wir reisen, es ist für uns eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit, mobil sein zu dürfen.

Für sehr viele Menschen gilt dieses Privileg nicht. Sie müssen umständliche Formulare ausfüllen, Gründe nennen, warum sie verreisen wollen und ein volles Bankkonto vorweisen, ehe sie zum Beispiel aus einem Land wie Ghana nach Deutschland einreisen dürfen. Nur hohe Beamte, Politiker:innen und Geschäftsleute kommen in den Genuss eines deutschen Visums. Neuerdings bekommen Menschen aus Ghana nur dann ein deutsches Einreisevisum, wenn sie zusätzlich zu den bereits genannten Bedingungen mindestens schon drei Mal in ein Schengen Land eingereist sind. Heißt: Wer noch nie in Europa war, darf nie nach Europa.

Wer nie hier war, darf nicht herkommen

Wundert es, dass sich Viele ohne die ganzen Visa-Formalitäten auf den Weg machen? Jene, die keine Zeit für den ganzen Bürokratiekram haben, weil die Ausreise drängt? Jene, die vor Kriegen und autokratischen Regierungen, vor Hunger und Elend flüchten? Jene, die ohnehin keine Chance auf ein Visum haben? Es treibt auch sie in die EU, wo angeblich Demokratie und Menschenrechte herrschen. Hier hoffen sie Asyl, Arbeit und eine lebenswerte Zukunft zu finden.

Schon Touristen und Geschäftsreisende aus dem globalen Süden sind nicht gerade willkommen und müssen für ein Visum große Hürden erklimmen. Noch weniger willkommen sind da die Menschen, die hier Schutz und ein neues Leben suchen, und das, obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention Geflüchteten Religions- und Bewegungsfreiheit, das Recht zu arbeiten, das Recht auf Bildung und das Recht auf den Erhalt von Reisedokumentationen zusichert. Diese Rechte werden zunehmend eingeschränkt. Im Juni erst trafen sich die Innenminister:innen der EU-Staaten, um neue vereinheitlichte Richtlinien zu verankern, die es Menschen noch schwerer machen sollen, nach Europa zu gelangen. Der Entwurf will erstmals Asylverfahren an Europas Außengrenzen ermöglichen, damit Menschen mit geringen Aufnahmechancen gar nicht erst in die EU kommen. Statt ein Europa der offenen Grenzen sollen neue geschlossene Sammellager (Asylzentren) entstehen, wo unerwünschte Menschen wie Gefangene gehalten werden sollen. Dabei wissen wir jetzt schon um die menschenunwürdige Situation in den überfüllten Lagern in Moria und Lampedusa.

Unerwünschte Menschen 

Wie gern werden die europäischen Werte zitiert, wenn es darum geht, andere Staaten zu kritisieren. Dann beruft sich die Union gerne auf die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der Menschenrechte. Freiheit, Demokratie, Gleichheit – das sind Werte, auf die sich die Union gründet. Doch wenn es um die Sicherung der Grenzen geht, zählen diese Werte scheinbar nicht.

Wir packen unsere Koffer und reisen, wohin wir wollen. Grenzenlos frei. Dabei sollten wir uns stets darüber bewusst sein, dass dies ein großes Privileg ist, das den meisten Menschen vorenthalten bleibt.


GRENZVERLETZUNG - Aktiv im Thema

proasyl.de | Die 1986 gegründete, in Frankfurt a.M. ansässige Organisation Pro Asyl setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen ein und recherchiert Menschenrechtsverletzungen.
mediendienst-integration.de/artikel/eine-sogwirkung-konnte-nicht-nachgewiesen-werden.html | Der Beitrag erklärt, warum die Behauptung, staatliche Sozialleistungen zögen viele Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland, falsch ist.
dw.com/de/faktencheck-f%C3%BChrt-seenotrettung-zu-mehr-fl%C3%BCchtlingen-und-migranten/a-57759340 | Der Beitrag erklärt, warum die Behauptung, zivile Seenotrettung fördere Flucht und Migration, falsch ist.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de

Tina Adomako

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Erst die Tat, dann der Glaube
Intro – Grenzverletzung

„Besser keine Reform als eine menschenrechtswidrige“
Asylrechtsexpertin Sophie Scheytt von Amnesty International über die EU-Asylreform – Teil 1: Interview

Hilfspakete an Europas Außengrenzen
Die Dortmunder Flüchtlingsinitiative Grenzenlose Wärme – Teil 1: Lokale Initiativen

Gefährliche Kanzel-Culture
Für mehr Streit und weniger Feindbilder – Teil 2: Leitartikel

„Mich besorgt die Feigheit der Mitte“
Journalist Ijoma Mangold über Cancel Culture und Diskursgrenzen – Teil 2: Interview

Hass gegen die Presse
Journalistin Corinna Blümel (KJV) über Empörungskultur – Teil 2: Lokale Initiativen

Auf dem rechten Auge blind
Verfolgungseifer von Behörden, Politik und Presse gegen Linke – Teil 3: Leitartikel

„Auf den Verfassungsschutz zu setzen, reicht nicht aus“
Sozialpsychologe Andreas Zick über Gefahren durch politischen Extremismus – Teil 3: Interview

Stachel mit Widerhaken
Das Autonome Zentrum an der Gathe lebt linke Werte – Teil 3: Lokale Initiativen

Für Kunstfreiheit und Menschenrechte
Safemuse gibt verfolgten Künstler:innen sichere Zufluchtsorte – Europa-Vorbild: Norwegen

Die Große Freiheit
Menschen und die Grenzen des Wahnsinns – Glosse

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!