Am 1. Mai 2020 attackierten in Berlin mehrere Teilnehmer einer Corona-Demo ein ZDF-Fernsehteam mit Metallstangen und Tritten – vier Teammitglieder landeten im Krankenhaus. Das Motiv der Angreifer ist bis heute nicht abschließend geklärt. Doch wenn Medienvertreter nur mit Schutzweste und Helm berichten könnten, dann sei das eine neue Hass-Qualität, sagt Corinna Blümel, freie Journalistin und Vorsitzende der Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV), der Kölner Ortsgruppe des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV).
Zuletzt rutschte Deutschland im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen wegen zunehmender Angriffe auf Journalisten um fünf Plätze ab auf Rang 21. Dass es so weit kommen konnte, sei auch eine Folge der Empörungskultur, sagt Blümel, eine sozial-kulturelle Bewegung, bei der Personen oder Organisationen aufgrund kontroverser Aussagen öffentlich geächtet und in der Folge häufig boykottiert werden – und zwar von beiden Seiten des politischen Spektrums. Von Empörungskultur spricht sie lieber als von „Cancel Culture“, da dies ursprünglich ein Kampfbegriff der amerikanischen Rechten sei. Dass die Empörungsbereitschaft so groß geworden sei, hänge vor allem mit Social Media zusammen, erklärt Blümel: „Die Schwelle ist niedriger, mit geringen Mitteln lässt sich viel Lautstärke erzeugen.“
Psychologisch gravierend
Redaktionen würden heute stärker abwägen, ob und wie sie bestimmte Themen aufgreifen. Das sei eine andere Perspektive als früher, wo Redaktionen allenfalls mit einzelnen, postalisch verschickten Leserbriefen konfrontiert gewesen seien, so Blümel. Die Auswirkungen eines ausgewachsenen Shitstorms könnten vor allem auf psychologischer Ebene gravierend sein – besonders wenn sie den Urheber eines Artikels persönlich träfen. 2020 wurde in Bielefeld aus Hass gegen Journalisten eine konkrete Hinrichtungsphantasie: Hier hatten sogenannte Querdenker eine am Strick aufgehängte Schaufensterpuppe an einer Brücke platziert, inklusive Pappschild mit der Aufschrift „Covid-Presse“ und Mundschutz mit dem Schriftzug „blind“.
Geraten Journalisten in rechtliche Schwierigkeiten, hilft der DJV. Voraussetzung ist eine hauptberufliche journalistische Tätigkeit. Zahlen Auftraggeber nicht pünktlich oder erscheinen Arbeitsverträge dubios, unterstützt der Verband seine Mitglieder juristisch, setzt sich außerdem politisch für Rechte, Sicherheit und Arbeitsbedingungen von Medienschaffenden ein. Die Mitgliederzahl sei aufgrund der teils prekären Arbeitsbedingungen im Journalismus und der abnehmenden Medienvielfalt rückläufig. Mit rund 1.500 Mitgliedern ist die KJV die größte Ortsgruppe im Landesverband. „Wir wollen Journalistinnen und Journalisten vor Ort vernetzen“, erklärt Blümel. Dafür gebe es gemeinsame Aktionen, zuletzt eine Führung durch den Deutzer Hafen.
Teil der Empörungskultur
Journalisten seien übrigens keineswegs nur „Opfer“ der Entwicklung, ist es Blümel wichtig zu betonen. So griffen Medien die in Social Media erzeugte Lautstärke auch selbst auf – „denn auch sie erliegen der Aufmerksamkeitsökonomie. Wenn Medien ein in Social Media hitzig diskutiertes Thema sachlich aufbereiten, gibt es weniger Klicks, als wenn sie es emotional reproduzieren“. Drehen Medien an der Empörungsspirale sind also auch sie Teil der Empörungskultur.
GRENZVERLETZUNG - Aktiv im Thema
proasyl.de | Die 1986 gegründete, in Frankfurt a.M. ansässige Organisation Pro Asyl setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen ein und recherchiert Menschenrechtsverletzungen.
mediendienst-integration.de/artikel/eine-sogwirkung-konnte-nicht-nachgewiesen-werden.html | Der Beitrag erklärt, warum die Behauptung, staatliche Sozialleistungen zögen viele Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland, falsch ist.
dw.com/de/faktencheck-f%C3%BChrt-seenotrettung-zu-mehr-fl%C3%BCchtlingen-und-migranten/a-57759340 | Der Beitrag erklärt, warum die Behauptung, zivile Seenotrettung fördere Flucht und Migration, falsch ist.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Erst die Tat, dann der Glaube
Intro – Grenzverletzung
Wo europäische Werte enden
Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 1: Leitartikel
„Besser keine Reform als eine menschenrechtswidrige“
Asylrechtsexpertin Sophie Scheytt von Amnesty International über die EU-Asylreform – Teil 1: Interview
Hilfspakete an Europas Außengrenzen
Die Dortmunder Flüchtlingsinitiative Grenzenlose Wärme – Teil 1: Lokale Initiativen
Gefährliche Kanzel-Culture
Für mehr Streit und weniger Feindbilder – Teil 2: Leitartikel
„Mich besorgt die Feigheit der Mitte“
Journalist Ijoma Mangold über Cancel Culture und Diskursgrenzen – Teil 2: Interview
Auf dem rechten Auge blind
Verfolgungseifer von Behörden, Politik und Presse gegen Linke – Teil 3: Leitartikel
„Auf den Verfassungsschutz zu setzen, reicht nicht aus“
Sozialpsychologe Andreas Zick über Gefahren durch politischen Extremismus – Teil 3: Interview
Stachel mit Widerhaken
Das Autonome Zentrum an der Gathe lebt linke Werte – Teil 3: Lokale Initiativen
Für Kunstfreiheit und Menschenrechte
Safemuse gibt verfolgten Künstler:innen sichere Zufluchtsorte – Europa-Vorbild: Norwegen
Die Große Freiheit
Menschen und die Grenzen des Wahnsinns – Glosse
Immer in Bewegung
Teil 1: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Europa verstehen
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Verbunden über Grenzen
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Korallensterben hautnah
Teil 1: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Wasser für Generationen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Orientierung im Hilfesystem
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Opferschutzorganisation Weisser Ring in Bochum
Hilfe nach dem Schock
Teil 2: Lokale Initiativen – Opferschutz bei der Kölner Polizei
Häusliche Gewalt ist nicht privat
Teil 3: Lokale Initiativen – Frauen helfen Frauen e.V. und das Wuppertaler Frauenhaus
Kaum entdeckt, schon gefährdet
Teil 1: Lokale Initiativen – Artenschutz und Umweltbildung in der Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen
Forschung muss nicht quälen
Teil 2: Lokale Initiativen – Ärzte gegen Tierversuche e.V. argumentiert wissenschaftlich gegen Tierversuche