Was sind das für Menschen, die in den Wohnungen leben, die wir von unseren Fenstern immer sehen können. Am Abend, wenn das Licht an, die Vorhänge noch nicht zugezogen sind, dann sehen wir Schatten, flimmernde Fernseher oder auch geschäftiges Treiben, dessen Sinn verschlossen bleibt. Wie schön wäre es auch, einmal einen harmlosen Blick durchs Schlüsselloch zu riskieren. Die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen wird privat.
Hier wird der Blick ins Wohnzimmer, in die Küche, ins Bad und auch ins Schlafzimmer gewagt. „At Home“ ist eine Ausstellung, die das Wohnen im Ruhrgebiet thematisiert, gesehen durch die Kunst. Es werden Vorurteile bestätigt, Meinungen revidiert, Schönheit und Merkwürdigkeiten hinter den Wänden beleuchtet.
Die Wohnung in der Arbeitersiedlung, das unvermeidliche Gelsenkirchener Barock, aber auch Armut mit hocherhobenem Haupt und skurrile Selbstdarstellung zeigen eine Region, in der vieles nicht nur abwechslungsreich und multikulturell ist, sondern auch liebenswerte Heimat, so zu sehen beispielsweise in Mischa Kuballs „New Pott“ und der Serie „Nachbarschaft“ von Sebastian Mölleken und Oliver Blobel.
Drei Etagen voller Bilder, Möbel und Einrichtungsgegenstände machen den Besuch zu einem besonderen Erlebnis. Viele Dinge befinden sich selbst noch im Haushalt oder waren im Besitz der Großeltern. Realien aus den 1950er und 1960er Jahren sind eben auch Erinnerungen an eine „gute alte Zeit“, die es so gar nicht gegeben hat, aber durch die man vorzüglich in der Vergangenheit schwelgen kann. Unter dem Motto „Mein liebstes Stück“ gab es zu Beginn einen Aufruf in der Bevölkerung mit der Bitte, private Exponate aus den Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Bis Ende August wächst und verändert sich dieser Ausstellungsbereich nun ständig.
Es ist auch ein visueller Rundgang durch die Jahrzehnte. Das Leben im Pott war nie leicht, und das ist so geblieben. Aber das Leben hatte Struktur, geprägt durch harte Arbeit und saubere Haushalte. Hans Rudolf Uthoffs arrangierte Fotografie von 1955 („Vor der Schicht. Frühstückskaffee“) zeigt das ganz deutlich. Dass dies allerdings nicht überall so stimmte, ist auf Anton Tripps Bild „Notunterkunft“ von 1960 zu sehen. Doch für beide Bilder gilt: Reichtum sieht anders aus. Und das ist bis heute geblieben, so zu sehen bei „Anni“ von Elmar Haardt (2006). Natürlich dürfen auch nicht die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher fehlen, deren Verdienst es ist, die historische Architekturseele des Ruhrgebiets erhalten zu haben. Ihre Typologie Ruhrgebietshäuser zeigt Gebäude zwischen Dortmund und Oberhausen, die heute kaum noch zu finden sind.
Mein persönliches Highlight der Ausstellung ist die Fotografie „Frau Jann präsentiert ihre Schrankwand“ (1976) von Wilhelm Reimers. Hier werden wirklich alle Klischees des bürgerlichen Spießertums erfüllt, arrangiert bis ins kleinste Detail. Von dem einen Meter Buchclub-Büchern, den Teppichen, der leeren Vase und den Nippesfiguren ist nichts erfunden. So sahen die Wohnzimmer in den 1970ern aus. Aufhalten durfte man sich dort nur mit besonderer Erlaubnis der Mieter. Bei meiner Großtante war das Mobiliar sogar mit Bettlaken abgedeckt, und wehe, wer im Wohnzimmer spielen oder etwa ein Eis essen wollte. Diese Ausstellung macht Erinnerung fast wieder greifbar.
„At Home“ I bis 16.9. I Ludwiggalerie, Oberhausen I 0208 412 49 11
Mi, 4.7. 19 Uhr: Vortrag: Wohnen und Wohnkultur im Bergarbeitermilieu des Ruhrgebietes nach 1945 I Dr. Hans-Christoph Seidel, Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum I Eintritt frei
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