Erinnerungen verändern sich im Laufe der Zeit, das Gute scheint in den Zellen länger zu haften, als das Schmerzhafte, unser Gedächtnis wird korrumpiert. Insofern ist die Fotografie etwas unbestechlicher, wenn sie unbehandelt bleibt und sich – zumindest in der Bild-Reportage – zur rechten Zeit am rechten Ort befindet. Barbara Klemm hat in ihrer Zeit als Fotografin bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung so ein visuelles Gedächtnis für insbesondere deutsche Ereignisse geschaffen und diese sollte sich jeder in der Oberhausener Ludwig Galerie im Schloss einmal ansehen. Viele können dort ihre Erinnerungen auffrischen oder unretuschierte, eingefrorene Zeit aus der Vergangenheit erleben.
„Schwarz-Weiß ist Farbe genug“: Das Klemm-Zitat überschreibt die Ausstellung, die mit 150 Bildern auch die seriellen Fotoserien in dezenten Holzrahmen zeigt, die jenseits der Zeitgeschichte entstanden sind. Keine Ikonen der Zeitgeschichte des 20. und den ersten fünf Jahren des 21. Jahrhunderts, sondern visuelle Highlights der Welt um uns herum, die sie bis heute mit ihrer Leica findet. Angefangen zu dokumentieren hat Klemm nach eigener Aussage in der Studentenbewegung der 1960er Jahre, danach war sie Teil fast aller zentraler Ereignisse der deutsch-deutschen Geschichte. Viele ihrer Bilder, wie die Knutscherei zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker (1973), die winkende Politriege am Tag der Wiedervereinigung (1990), ja selbst der schüchterne Andy Warhol vor Goethe in Campagna von Wilhelm Tischbein im Frankfurter Städel Museum (1981), sind ins kollektive Gedächtnis nicht nur der Zeitungsleser gewandert.
Inszenieren konnte die Pressefotografin bei ihren Aufträgen natürlich nicht, sie hatte früh das magische Händchen für die besondere Situation und den außergewöhnlichen Standort (Joschka Fischer, 1969), Dass sie sich dabei oft jenseits des Fotografenpulks aufhielt – ein Schelm der Böses dabei denkt. Dieses wohl angeborene Talent der Bildauswahl, beide Elternteile waren schließlich künstlerisch bewandert, zeigt sich auch in ihren Porträts, den Landschafts-Serien über Hölderlin oder in den Fotografien, die sie in der ehemaligen DDR geschossen hat. Alle Zeit hat eben auch eine Vergangenheit.
Barbara Klemm: Schwarz-Weiß ist Farbe genug | bis 7.5. | Schloss Oberhausen Ludwiggalerie | 0208 41 24 928
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die abwesenden Menschen
Jörg Winde im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Die Macht der Bilder
Katharina Sieverding im Düsseldorfer K21
Wahrhaftigkeit der Fantasy
Walter Moers-Ausstellung in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Kunstvolle Stahlarbeiten
„work comes out of work“ in Bochum – Kunstwandel 01/24
Auf nach Phantásien!
Illustrationen zu Michael Endes Geschichten in Oberhausen – Ruhrkunst 10/23
Wege der Landschaftsdarstellung
Sven Drühl in Oberhausen – Kunst 08/23
Futter fürs Bildgedächtnis
Pixelprojekt-Neuaufnahmen in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 08/23
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24