Dortmund, 28. Juni – „Nur Mut, fragen Sie!“ fordert Louisa Pethke die ZuschauerInnen im Kino im U immer wieder freundlich nach der Filmführung von „Louisa“ auf. Sie macht diese Aufmunterung in Gebärdensprache, eine Dolmetscherin übersetzt ins Mikrofon für das hörende Publikum, das tatsächlich viel nachfragt. In dem Dokumentarfilm begleitet ihre Schwester Katharina Pethke die junge Frau mit der Kamera für die Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien Köln. Entstanden ist ein intensives Porträt einer Emanzipation. Zentrales Thema des Films und auch des Publikumsgesprächs ist Louisas Entscheidung, als Gehörlose nicht mehr immer lautsprachlich zu reden, sondern sich lieber in Gebärdensprache zu verständigen.
Dass Louisa überhaupt die Option hat zu wählen, läge daran, dass ihre Eltern sie wie eine Hörende erzogen haben, und sie -trotz großer Anstrengungen- eine Regelschule besuchte, weil sie von dem Niveau an der Schwerhörigenschule geschockt war. „Ich kann lautsprachlich kommunizieren, aber die Frage ist, ob ich es will.“, erklärt sie auf Nachfrage. Sie hat als Gehörlose im Umfeld einer hörenden und sprechenden Welt die Kunst des Lippenlesens so vervollkommnet, dass ihr das Verstehen und lautsprachliche Sprechen möglich ist. Sowohl im Film als auch im Gespräch macht Louisa eindringlich klar, dass dies allerdings auf Kosten ihrer eigenen Teil-Identität als Gehörlose gehen musste. „Ich hatte das Gefühl, dass ich mich die ganze Zeit zum Teil selbst verleugne.“ Keiner in ihrer Familie kann die Gebärdensprache. Erst als sie im Studium in den riesigen Hörsälen beim besten Willen langfristig den Vorlesungen nicht folgen konnte, hatte sie eine entscheidende Begegnung mit einer Studentin, die Gebärdensprach-Dolmetscher mit in die Uni nahm. Erst da entdeckte sie die Gebärdensprache für sich wie eine Offenbarung.
Faszinierend ist Louisas Zugang zu Musik. Sie schreibt Texte für Rapper, fühlt dem Sound mit den Händen auf den Boxen nach, spürt die Vibration, berührt den Sänger am Rücken, an der Kehle und hat ein fantastisches Gespür entwickelt, um das viele Hörende sich zu Unrecht gar nicht erst bemühen. Im Film lotet Lousia die Möglichkeit aus, durch die Operation eines Implantats „hörend“ zu werden. Sie formuliert neben der Angst vor dem massiven Eingriff auch die Befürchtung Sinne zu verlieren und macht deutlich, wie ärmlich viele Hörende in einem Gespräch nur den Worten folgen, ohne auf Mimik, Gestik und alles drum herum zu achten. Und vor allem empfindet sie ihre Gehörlosigkeit nicht als etwas Minderwertiges, das wegoperiert oder repariert werden müsse. Damit rührt der Film an den Kern einer selbstbestimmten Identitätsfindung, die in ihrer Ehrlichkeit und Dringlichkeit weit über die Thematik des Hörens hinausweist. Nicht zum Sprechen aufgefordert zu werden, wird damit auch im Filmgespräch zu einem politischen Akt.
Louisa Pethke (rechts) im Filmgespräch auf Gebärdensprache
In einer Szene des Films sehen wir Louisa in einer Seminarsituation mit anderen StudentInnen und einem Dozenten, die sich engagiert in Gebärdensprache unterhalten. Die Szene ist nicht untertitelt (wie andere Szenen im Film), sodass man als hörender Zuschauer auf interessante Art auf dem Schlauch steht. Unmöglich zu verstehen, was da verhandelt wird. Genauso sehen wir etwas später viele sprechende Münder, allerdings hören wir nur einen Sound, das Gesprochene bleibt unhörbar. Auffällig war, dass nur Lautsprachlich kommunizierende Zuschauer im Filmgespräch Fragen an die Protagonistin stellten, obwohl viele Gehörlose in der Veranstaltung waren, die in Kooperation mit dem Zentrum für Gehörlosenkultur http://www.zfg-dortmund.de/organisiert wurde. Erst nach dem offiziellen Teil drängen sich im Foyer zahlreiche Zuschauer um Louisa und sprechen engagiert lautlos in Gebärdensprache miteinander.
Winken ist Klatschen: Das Publikum von "Louisa"
Das Kino im U ist als einziges Kino in Dortmund mit einer Induktionsschleife ausgestattet, sodass Hörgeräte-TrägerInnen mit T-Spule verstärkt hören können.
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