Wie viele Facetten die aktuelle Wechselausstellung in der Alten Post in Mülheim berührt, deutet schon ihr Untertitel an: „Zwischen den Kulturen“ benennt das Heimatlose und Entwurzelte. Beispiele sind besonders Arthur Kaufmanns Gemälde der deutschen Intellektuellen, die vor den Nazis nach Amerika geflohen sind, und Loredana Nemes Fotoserie „beyond“, in der sie die Parallelgesellschaft der arabischen und türkischen Kulturvereine in Berlin porträtiert. Aber das sind nur ein paar Aspekte der unprätentiösen Ausstellung.
Beginnend mit Kokoschkas Druckgrafiken zur „Odyssee“, nennt die Ausstellung Beispiele von Völkerwanderungen und sie zeigt den Flüchtenden selbst, mit ihm beginnt sie. Ernst Barlach liefert dazu eine kleine Bronzeplastik (1920) – eine weitere verweist auf die Flucht der Heiligen Familie – und Gerhard Marcks zeigt als Holzschnitt eine flüchtende Mutter mit Kind. Ein weiteres Blatt von Marcks wendet sich Charon zu, dem Fährmann der griechischen Mythologie. Die Fahrgäste sind im Kahn zusammengerückt, umfangen von der aufgewühlten See – und sofort sind wir in Gedanken in der Gegenwart. In der Ausstellung zeigt ein Film von Sven Johne die Umrundung der Insel Lampedusa, in Echtzeit gefilmt aus dem Boot. Zu hören sind zunächst lediglich das Motorengeräusch und der Rauschen des Meeres, doch dann lassen sich Stimmen ausmachen, die selbst im Allgemeinen des Gesprächs allen Anflug von Meditation und Schönheit der Natur untergraben. Plötzlich ist Lampedusa wieder Synonym für die Flüchtlingsbewegungen von Afrika nach Europa mit dem Massengrab vor seiner Küste und den Zynismus eines florierenden Tourismus.
Verschlüsselt ist das Gemälde „Gliederpuppen“ (1943) von Felix Nussbaum. Nussbaum, der nach jahrelanger Flucht und Versteck vor den Nazis in Auschwitz ermordet wurde, hat in seiner letzten Werkphase Figuren gemalt, die wie Holzpuppen zusammengesetzt wirken. Deutlich wird das Zerbrechliche des Einzelnen. In unmittelbarer Nähe dazu ist der aktuelle Film „Homeland“ von Halil Altindere zu sehen, in dem ein Junge seine Flucht von Syrien nach Berlin erzählt. Der Transit mit seinen Erschöpfungszuständen ist in der Ausstellung aber auch bewusst allgemeiner gefasst, etwa beim Künstlerpaar Dagmar Keller und Martin Wittwer, die müde Reisende in nächtlichen Buslinien in Paris fotografiert haben, deren Biografien unbekannt bleiben. Wieder eine andere Thematik schlägt Maryam Motallebzadeh an. Sie formuliert in der neuen Heimat Erinnerung, Trauer und Hoffnung auf die Zukunft anhand von handschriftlichen Notizen zwischen aufgespannten Schnipseln und Tagebuchseiten, die in ein Labyrinth aus hauchdünnen Schleiern eingewoben sind: eine Form des Umgangs mit dem Verlust der Identität – und der Versuch, sie wiederzuerlangen. Wie gut, dass es diese behutsame Ausstellung gibt!
„WeltenWanderer – Zwischen den Kulturen“ | bis 18.6. | Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr | 0208 455 41 38
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