Die Ausstellung „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten zeigt Kunst der Jüdischen Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhundertsaus der Sammlung Rubinstein-Horowitz. Ein Gespräch mit Museumsleiterin Kathrin Pieren.
trailer: Frau Pieren, die jüdische Renaissance scheint kein fest umrissener Begriff zu sein.
Kathrin Pieren: Der Begriff der jüdischen Renaissance, wie wir ihn hier verwenden, wurde vom Philosophen Martin Buber geprägt. Er hat noch als Student einen Artikel dazu geschrieben. Die jüdische Renaissance betrifft den Ausgang des 19. Jahrhunderts und geht bis in die 1920er-Jahre hinein. Es geht um eine erstarkende jüdische, säkulare kulturelle Identität, die sich auf Traditionen berief, aber zutiefst modern war. Das betrifft nicht nur das Aufleben der Kunst, auch die Literatur und das Aufwerten von Jiddisch und jiddischen Geschichten in einer Zeit, wo in Europa und der ehemaligen Sowjetunion eine starke Tendenz zur Assimilation vorherrschte. Wir haben in dieser Ausstellung allerdings auch Künstler:innen, die nach 1945 aktiv waren, mit einbezogen, deren Arbeit davon stark beeinflusst war.
„Arayn un aroys“ – Begriffe, die schwer zu recherchieren sind.
Wir erklären das in unserer Ausstellung. Das bedeutet auf Jiddisch „innerhalb und außerhalb“. Eigentlich geht es darum, dass jüdische Künstler:innen damals aus Städten, wo es eine große jüdische Bevölkerung und traditionell-religiöses Leben gab, in die Großstädte abwanderten. In ihrer Kunst haben sie dann diese „Shtetl“ (übers.: „Städtchen“, Anm. d. Red.) wiederentdeckt und dargestellt.
Die Ausstellung zeigt Werke aus der Sammlung Rubinstein-Horowitz – also explizit aus Osteuropa?
Ja, die gezeigten Werke stammen alle aus der ehemaligen Sowjetunion. Und zwar von Künstler:innen, die unter anderem aus der Ukraine, aus Russland, Weißrussland stammten, aus einem Gebiet, das mehrere heutige Staaten umfasste. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren Jüdinnen und Juden mit wenigen Ausnahmen gezwungen, in diesem Gebiet, dem sogenannten Ansiedlungsrayon, damals noch unter der Herrschaft der Zaren, zu leben. Es gab es eine relativ große jüdische Bevölkerung und dort waren ihre Shtetl. In der Ausstellung sind insgesamt zwölf Künstler:innen vertreten, zehn Männer und zwei Frauen.
Die jüdische Renaissance in Deutschland war aber eher bibliophil?
Ja, ich glaube, das ist richtig. In diesem sowjetischen Zusammenhang gab es aber auch sehr viel, das mit Sprache, Publikationen und Büchern zu tun hat. Gerade mehrere der Künstler:innen, die in unserer Ausstellung vertreten sind, haben zum Beispiel Geschichten und Volksmärchen illustriert. Im unteren Bereich haben wir außerdem einen Raum, wo es nur Darstellungen aus dem jüdischen Theater zu sehen gibt. Das war dann eher in den großen Städten, Moskau, Minsk, Kiew und anderen Städten. Überall wurden damals Stücke auf Jiddisch aufgeführt, all die großen Autor:innen wie Shakespeare wurden übersetzt, aber natürlich auch original jiddische Stücke wurden gezeigt.
Welche Techniken wurden bei den Arbeiten in der Ausstellung angewendet?
Wir haben viele grafische Arbeiten: Farblithografien, Linol- und Holzschnitt, aber auch Tusche- und Kohlezeichnungen. Es sind insgesamt eher kleinformatige Bilder. Was ich persönlich besonders schön finde, sind die Zeichnungen von Kostümentwürfen fürs Theater, zum Teil noch mit winzigen Stoffmustern, Theaterszenen und Porträts von Schauspieler:innen.
Sammlungen jüdischer Kunst – ist das ein Solitär im Kunstbetrieb?
Frau Rubinstein-Horowitz sammelt Werke jüdischer Künstler:innen. Sie baut auf einer Sammlung auf, die ihrem Großvater gehörte, der allerdings nicht nur jüdische Künstler sammelte. Er hat Kunst aus der Sowjetunion gesammelt und sie fokussiert sich auf jüdische Kunst. Ich würde das nicht unbedingt solitär nennen. Es ist für mich aber eine Frage, wie jüdisch diese Kunst war. Oder war das Shtetl-Leben einfach das Thema, das diese Künstler:innen am besten kannten? Hätten die Künstler:innen das selbst als jüdische Kunst bezeichnet? Das sind spannende Fragen, über die man in der Ausstellung nachdenken kann.
Wie schwer ist die Vermittlung jüdischer Kunst und Kultur in Deutschland?
Das ist in vielerlei Hinsicht schwer, weil man mit so vielen Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert wird, aber das ist unser tägliches Brot und wir machen das, glaube ich, gut. Wir vermitteln einerseits Geschichte, Kultur in der Geschichte, Religion, Gebräuche, Ethik, doch wir gehen auch weiter bis in die Gegenwart. Wir sind das Jüdische Museum in Westfalen, aber in unseren Sonderausstellungen zeigen wir ganz verschiedene Dinge. Wir hatten vor einer Weile einen Stuttgarter Künstler da, Abi Shek, der ursprünglich aus Israel kommt und großformatige Tierdrucke macht. Nur einen Teil seiner Kunst bezeichnet er als jüdische Kunst. Wir haben auch Ausstellungen zu jüdischem Leben in der Gegenwart und ich glaube, dass die Leute sich dafür interessieren. Die jüdische Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist nicht so bekannt, deshalb machen wir ja diese Ausstellung. Vielleicht ist der Titel schwer zu verstehen, doch die Kunst, die gezeigt wird, ist gut verständlich. Man begreift, in welchem Kontext die Künstler:innen gearbeitet haben. Alles sind konkrete Darstellungen, keine abstrakte Kunst. Es gibt in Deutschland auch ein Interesse, Konzerte mit jüdischer Musik zu hören, sowohl traditionellen Klezmer, als auch modernere und Crossover-Musik. Aber weil in Deutschland jüdische Geschichte immer durch den Filter der Shoah gelesen wird, erschwert das einigen Menschen den Zugang zu jüdischen Museen. Doch es geht ja bei uns auch um ganz viele andere Dinge.
Aber das Museum wird noch nicht von der Polizei bewacht?
Doch, das Museum wird von der Polizei bewacht.
Shtetl – Arayn un Aroys | bis 27.10. | Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten | 02362 452 79
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