Dortmund, 28. September – Ein Film über die prekäre Lage von Neuzuwanderern in der Dortmunder Nordstadt, samt anschließendem Gespräch – andernorts könnte das leicht ein nüchterner Abend mit akademischem Anstrich werden, bei dem Soziologie-Studenten und Pädagogen über Integration fachsimpeln, in Abwesenheit der Menschen, um die es eigentlich geht. Nicht so im SweetSixteen: das Kino im Depot zeigte die Dokumentation „Vom Traum zur Realität! Kurzgeschichten aus dem Leben der Neuzuwanderer“ und der kleine Kinosaal war berstend voll – und zwar größtenteils von den Menschen, deren Leben der Film porträtiert.
Mit den Menschen, die als Tagelöhner auf Baustellen schuften, für einen Billiglohn die Zimmer in feinen Hotels putzen, die hoffnungsvoll ihre Heimat in Bulgarien und Rumänien verließen und nun in der Dortmunder Nordstadt gelandet sind. Wer keine Bleibe findet, verbringt auch mal die Nacht im Internetcafé – um am nächsten Morgen wieder an der Mallinckrodtstraße zu stehen, am sogenannten „Schwarzarbeiter-Strich“. Dies alles zeigt der Film.
Und es geht um genau die Menschen, die in der aktuellen Migrationsdebatte wohl mit den meisten rassistischen Vorurteilen zu kämpfen haben. Man denke nur an den CSU-Vorschlag, Sinti und Roma in Extralagern unterzubringen. Manche nennen es euphemistisch das „bayrische Modell“ – man fragt sich, ob die gleichen Menschen Gulags das „sibirische Modell“ nennen. Merfin Demur, Rom und Geschäftsführer der Interkulturellen Jugendselbstorganisation Terno Drom mahnte im Film-Gespräch: „Unsere Geschichte ist von Verfolgung geprägt.“ Das generationsübergreifende Trauma des Genozids an den Sinti und Roma dürfe man nicht vergessen.
Der Film war übrigens ein Projekt des Planerladens, einer gemeinnützigen Organisation, die sich unter anderem für die Integration der Roma in der Dortmunder Nordstadt stark macht. Dementsprechend ist die No-Budget-Produktion auch keine professionelle Dokumentation – das merkt man ihr an. Aber wer „Vom Traum zur Realität“ mit den Maßstäben für zeitgenössische Dokus misst, hat nicht ganz verstanden, worum es hier geht: Der Film, das gesamte Projekt und auch der Abend im sweetSixteen richtet sich nicht ans große Publikum – zumindest nicht in erster Linie. Es ist ein Film über das Viertel und für das Viertel.
Nicht umsonst übernahmen zwei Straßenmusiker aus der Nordstadt den musikalischen Part des Abends: Hasan und Mehmet stürmten nach dem Film den Kinosaal und spielten flotte Melodien auf Querflöte und Akkordeon – begleitet von einer tanzfreudigen, impulsiven Dame aus dem Publikum. Und auch beim anschließenden Gespräch ging es vor allen Dingen um eine Frage: Wie wird die Arbeit des Integrationsprojekts fortgeführt? Wie verbessert sich die Lage der Neuzuwanderer, was können sie tun, was dürfen sie hoffen? Die Diskussion wurde gleichzeitig auf Deutsch, Türkisch und Romanes geführt, Tülin Kabis-Staubach vom Planerladen und Merfin Demir übersetzten.
Istoica Matei, Rom aus Rumänien, kam auch im Film zu Wort und war beim Filmabend im sweetSixteen zu Gast. „Die Situation ist leider noch die gleiche“, sagte er. „Aber ich will, dass meine Situation gezeigt wird. Und vielleicht manche Leute ihre Meinung ändern.“
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