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Dirigent Jamie Phillips
Foto: Benjamin Ealovega

Blick zurück, Blick voraus

25. Januar 2018

Die Essener Philharmoniker umzingeln Tschaikowski – Klassik an der Ruhr 02/18

Während die Rheinländer die Fünfte Jahreszeit endgültig ausrufen, blickt Essen gen Osten: Die Essener Philharmoniker bereiten ein Fest emotionaler Musiken aus drei verschiedenen russischen Komponistengenerationen. Als Glinka die Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“ komponierte, lag Tschaikowski noch in der Kinderkrippe. Diese Eröffnungsmusik ist eine der virtuosesten Ouvertüren der russischen Oper und hat bis heute – im Gegensatz zur gesamten Oper – einen festen Platz im Repertoire. Besonders bei Gala-Spektakeln wie z.B. auf der Berliner Waldbühne wird sie als Eisbrecher eingesetzt. Denn die Geigentöne sausen wie ein Wirbelwind durchs Orchester, die Pauken trommeln Alarm und künden die Celli an, die eine erste Melodie „süß-sauer“ anrichten: Überbordende Freude und mollbetrübte Melancholie verschmelzen gern bei russischen Nationalmusikern. Und eine so nationale Richtung vertrat Mikhail Glinka – ganz im Gegensatz zu Peter Tschaikowski.

Als Pjotr Tschaikowski seine vierte Sinfonie schrieb, galt er als westlich orientierter Musiker, zumindest in seiner Heimat. Auch Glinka hatte in Italien und Deutschland studiert, war aber nach der Rückkehr praktisch zum Erfinder einer nationalen Tonsprache ausgerufen worden. Tschaikowski galt im Westen als barbarischer Rhythmiker und typischer Vertreter des wilden Russlands. Dabei war er angeblich ein so sanfter Vogel: In der Entstehungszeit der Vierten heiratete er, verließ seine Frau, eine total verliebte Verehrerin, allerdings gleich wieder, erlitt einen Nervenzusammenbruch und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Was ihm nicht gelang. Seine Frau endete in der Nervenheilanstalt. Diese vierte Sinfonie spielt also vor einer romanhaften Kulisse, die viel tragischer war als der Klang gewordene Schmerz eines Menschen, dessen damals illegale Homosexualität menschliche Opfer forderte – Tschaikowskis unaufgeklärter Tod steht selbstverständlich auch auf dieser Liste.

Das Cellokonzert „Prayer for Rain“ („Tefilat geshem“) von Boris Gurevich ist István-Alexander Gaal, dem Solo-Cellisten der Essener Philharmoniker, gewidmet. Das Gebet für den Regen, aktuell in der hiesigen Region eigentlich überflüssig, gehört aber zur jüdischen Liturgie (Laubhüttenfest) und drückt die Dankbarkeit der Menschen für den gottgesandten Regen aus. So ist dieses Werk als Allegorie für die Erfüllung eines lang ersehnten Wunsches zu sehen. Die Essener Philharmoniker präsentierten bereits 2005 eine Komposition von Boris Gurevich. Der Komponist/Pianist, geboren in Kazan in der russischen Republik Tatarstan, arbeitet seit 2000 als Korrepetitor am Aalto-Theater in Essen. Er studierte in Moskau, in Jerusalem, in den USA und später in der Schweiz. Er konnte als Mann in der ersten Reihe am Orchester dem Solocellisten dieses Werk in die Saiten schreiben – aktuellste Musik eines Komponisten von der Wolga, der ganz zeitgemäß seine Ohren auf der ganzen Welt geschult hat – das Programm dieser Abende macht wirklich Sinn.

7. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker, Dirigent: Jamie Phillips | Do 8.2., Fr 9.2. 20 Uhr | Philharmonie Essen, Alfried Krupp Saal | www.theater-essen.de/philharmonie

Olaf Weiden

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