trailer: Herr Paech, im Mittelpunkt der Energiewende stehen neue Techniken. Laufen wir damit Gefahr, erneut ein System einzurichten, das natürliche Ressourcen übernutzt?
Niko Paech: Keine Technik ist zum ökologischen Nulltarif zu haben. Aus dem Versuch, ein anfängliches Problem technisch zu lösen, erwachsen als unbeabsichtigte und unvermutete Nebenwirkung neue Probleme, deren Lösung wiederum neue technische Gegenmaßnahmen notwendig erscheinen lassen, die ihrerseits neue Probleme generieren ohne die vorhandenen vollständig auszuschalten. So wird nicht nur schleichend die Ökosphäre zerstört, sondern eine zunehmend unbeherrschbare Komplexität erzeugt.
Gegen Windräder beispielsweise in Naturschutzgebieten gibt es große Widerstände. Zu Recht?
Windräder verkörpern den verzweifelten Versuch, die vorherrschende kosmopolitische Konsumkultur zu zementieren. Natürlich ist es kein Fortschritt, sondern könnte absurder nicht sein, Ökologie zu zerstören mit der Begründung, Ökologie zu retten.
Mit der Energiewende entsteht eine neue Industrie. Sie empfehlen andere Maßnahmen. Welche?
In der Tat haben die öko-technischen Modernisierungsprogramme einen grünen Geldadel entstehen lassen, gerade im Energiebereich. Wirksamer wären Reduktionsprogramme, aber nicht per Subventionierung, sondern Verteuerung oder durch Begrenzungen. Und hier wäre der motorisierte Individualverkehr erst an dritter Stelle zu nennen. Vorher gilt es, den Flugverkehr und Kreuzfahrten prägnant einzuschränken. Denn wir sollten zwischen Luxus und Grundbedürfnissen unterscheiden.
Deutschland gilt als Vorreiter in Sachen Umweltschutz und Energiewende.
Deutschland ist eine Nation der Umweltheuchler. Und dieses Selbstbild hat katastrophale Folgen, nämlich dass jeder kulturelle Wandel zum Weniger damit verhindert werden kann. Die deutsche Energiewende beruht auf purem Chaos: Niemand hat einen Plan oder ein ganzheitliches Konzept. Stattdessen wird naiv darauf geschaut, dass möglichst viel Technik in die Landschaft gebaut wird, um unser Gewissen zu beruhigen. Das EEG hat einen Goldrausch entfacht. Jeder versucht, auf seine Weise davon zu profitieren, ist aber in keine durchdachte Strategie eingebunden.
Ist die Energiewende insgesamt in Frage zu stellen?
Die Kollateralschäden der sog. Energiewende sind selbst zu einem ernsten Nachhaltigkeitsproblem gediehen, insbesondere die Zerstörung letzter Natur- und Kulturlandschaften. Überdies wohnt derart additiven Lösungen eine gewissensberuhigende Alibifunktion inne. Durch sie lässt sich all das ausblenden und somit gegen Wandel immunisieren, was im toten Winkel symbolischer Nachhaltigkeitskulissen fortwährend neue Rekorde an Zerstörung verzeichnet. Während der aufdringlich sichtbare Zuwachs an Windrädern, deren Beitrag zur CO2-Minderung übrigens erschreckend bescheiden ist, zur Visitenkarte des Klimaschutzmusterschülers Deutschland gereifte, konnten der Flugverkehr, Kreuzfahrten, eine sagenhafte Flut an Plastikverpackungen, immer mehr und größere PKW sowie der Elektronikverbrauch nebst -schrott ungehindert zu einem Desaster ganz neuen Ausmaßes wuchern.
Ist also statt der Energiewende ein Konsumverzicht notwendig?
Es existiert nirgends eine Energiewende, die diesen Namen verdient, sondern lediglich ein Malstrom technischer Spielereien mit Nachhaltigkeitsanstrich. Nötig, um das Zwei-Grad-Klimaziel einzuhalten, wäre eine radikale Reduktion des Verkehrs, des Konsums und der Digitalisierung. Dies wäre kein Verzicht, sondern die Rückgabe einer Beute, die sich moderne Gesellschaften dreist angeeignet haben.
Zu Ihrem Konzept einer Postwachstumsökonomie: Wäre so eine Energiewende reizvoll für Investoren und Politik?
Wenn wir uns klar machen, dass die Technik nur zu einem klitzekleinen Anteil weiterhilft, verbleibt logischerweise nur die Anspruchsreduktion und die ist der Politik nicht vermittelbar. Was die Wirtschaft anbelangt, bin ich etwas optimistischer. Warum sollten Unternehmen zum Beispiel nicht versuchen, durch Reparaturleistungen einerseits Geld zu verdienen und damit zugleich die Industrieproduktion überflüssig machen?
An welchem Punkt steht die Energiewende?
Die bislang ausschließlich technisch ausgetragene Energiewende ist gescheitert. Und der weitere Ausbau von Wind und Photovoltaik stößt zusehends auf politischen Widerstand, weil hierzu der letzte Rest an landschaftlichem Tafelsilber technisch nachverdichtet werden müsste. Allein die Wende zum Weniger bietet noch eine Perspektive.
Gilt als Verweigerer, wer Konsumverzicht statt Öko-Technik propagiert?
Es geht nicht um Verzicht, sondern um Aufklärung und den Rest an überlebensnotwendigem Anstand. Dass jemand, der diese Haltung vertritt, als Verweigerer gilt, sagt viel über diese Gesellschaft aus, die sich ansonsten einer moralischen Überlegenheit rühmt. Davon abgesehen: Verweigerer sind coole Typen. In einer Sphäre der egozentrischen Selbstinszenierung ernten solche Akteure viel Aufmerksamkeit.
Welche Reaktionen erfährt die Postwachstumstheorie in Universitäten und Alltag?
Ich kontrolliere die Menschen nicht, die sich in meine Veranstaltungen setzen. Die artikulierte Resonanz ist zumeist positiv, aber keine Angst, ich bin vorsichtig genug, um daraus keine allzu optimistischen Schlüsse zu ziehen.
Genügt individuelles Handeln? Braucht es nicht trotz allem eine globale Lösung?
Globale Gerechtigkeit innerhalb verhandelbarer ökologischer Grenzen setzt voraus, dass jedes Individuum eine Obergrenze für die Inanspruchnahme knapper Umweltressourcen respektiert. Für den Klimaschutz sind bei 7,3 Mrd. Menschen ca. 2,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes und mit Hilfe anderer, im Netz kinderleicht zu findender Informationen kann jeder Mensch selbst schauen, wo bei ihm oder ihr die heftigsten Verwerfungen sind, an denen zu arbeiten wäre, denn im Durchschnitt liegen wir bei 12 Tonnen. Die mit Abstand wichtigsten Maßnahmen sind, möglichst niemals zu fliegen und niemals ein Kreuzfahrtschiff zu besteigen. Erst dann kommt der Rest.
Wie beziehen wir den globalen Süden ein? Von dort stammen Rohstoffe neuer Techniken, zugleich ist er ein Absatzmarkt dieser Techniken.
Dem globalen Süden ist mit technischen Lösungen, durch die wir selbst gerade unseren Ruin vorbereiten, nicht zu helfen. Was dort benötigt wird, sind sog. Mittlere Technologien, als Mittel zur maßvollen Verstärkung menschlicher Arbeitskraft, die so einfach konstruiert sind, dass sie keine externe Energiezufuhr brauchen und von den Menschen selbst gebaut und repariert werden können.
Müssen Sharing-Angebote forciert werden, anstelle neuer Techniken?
Sharing-Angebote können sinnvoll sein, aber nur, wenn das Einkommen der Nutzer parallel dazu sinkt. Andernfalls stellt sich die Frage, was die Menschen mit dem eingesparten Geld anfangen. Der Einspareffekt mit Sharing-Konzepten ist im Vergleich zu anderen Problemen ist ohnehin eher gering. Es reicht nicht aus, Mobilität anders zu organisieren, sie ist als solche in Fragen zu stellen oder an die Möglichkeiten anzupassen, die sich verantworten lassen.
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